Quelle: http://www.kanzlei-prof-schweizer.de/bibliothek/content/pressefreiheit_im_jahre_2001.html

Die Pressefreiheit im Jahre 2001

Prof. Dr. Robert Schweizer, Sprecher des Deutschen Presserats

In diesem Jahrbuch berichten über die tägliche Arbeit des Deutschen Presserats ‑ wie in den Vorjahren ‑ der Vorsit­zende des Beschwerdeausschusses, der Geschäftsführer des Presserats sowie der Referent des Beschwerde­ausschusses. Tägliche Arbeit heißt, wie § 1 der Satzung für den Trägerverein des Deutschen Presserats e.V. die Auf­gaben des Presserates formuliert, für die Pressefreiheit in der Bundesrepu­blik Deutschland einzutreten und das Ansehen der deutschen Presse zu wahren" (§ 1 der Satzung für den Trägerverein des Deutschen Presse­rates e.V.). Dieser Beitrag zur Presse­freiheit im Jahre 2001 versucht, die Aufgaben des Presserates insgesamt aktuell zu überblicken. In einem demo­kratischen Rechtsstaat, für den die Pressefreiheit schlechthin konstituie­rend und die Garantie für alle übrigen Freiheitsrechte ist, beschreibt eine sol­che Gesamtschau auch den Grad der politischen und gesellschaftlichen Frei­heit, Diese Grundlage ist allgemein an­erkannt.

Das Ansehen der Presse wird im Titel dieses Beitrages aus mehreren Grün­den nicht ausdrücklich hervorgehoben: Die Pflicht zur Wahrung des Ansehens der Presse ist der Pressefreiheit im­manent, also im Titel: "Pressefreiheit" mit erfasst. Vor allem aber könnte ein Titel wie "Die Pressefreiheit und das Ansehen der Presse" irreführend den Eindruck erwecken, es werde im We­sentlichen nur das Verhältnis des An­sehens der Presse zur Pressefreiheit besprochen und womöglich die Medienfreiheit als achte Plage vor­verurteilt. Ein solches Vorurteil ist nur modern und verhilft provozierend zu großer Aufmerksamkeit. So hat das Stadtforum München ohne Fragezeichen und mit zahlenmäßig größtem Er­folg für den 4. Februar 2001 zu einer Veranstaltung "Medienwelt ‑ Die achte Plage" eingeladen. Aber dieses Vorur­teil lässt sich nicht halten.

Ausgeklammert bleiben in diesem Bei­trag die Themen, die Gegenstand von Tarifverhandlungen sein können. Ak­tuell interessieren in diesem ausge­klammerten Bereich Probleme wie das Urhebervertragsrecht, die Betriebsver­fassung und die Arbeitszeiten. Für die­se Themen ist der Deutsche Presse­rat nicht zuständig.

Begriff

Teilweise vertreten Gerichte und Fachschriftsteller feinsinnig die Ansicht, die Pressefreiheit unterscheide sich vom Grundrecht der freien Meinungsäuße­rung dadurch, dass die Pressefreiheit nicht die Meinungsfreiheit betreffe, sondern nur die Bedeutung der Pres­se für die freie und öffentliche Meinungsbildung. In der Praxis werden jedoch die Meinungs‑ und die Presse­freiheit so nicht nebeneinander gestellt. Vielmehr umfasst die Pressefreiheit auch die Meinungsfreiheit. Somit ist zu definieren: Das Spezialgrundrecht der Pressefreiheit garantiert das Recht, sich zu informieren und sich ‑ in ver­körperter Form ‑ einem individuell un­bestimmten Personenkreis mitzuteilen.

Weltweite Einschränkungen der Pressefreiheit durch Inhaftierungen, Gewaltaktionen, Einschüchterungen und berufsethische Probleme

Nach dem ‑ bereits zitierten ‑ Wortlaut der Satzung hat der Presserat zwar nur für die Pressefreiheit "in der Bundes­republik Deutschland" einzutreten. Dennoch entstünde ein falsches Bild, wollte der Presserat die weltweiten Missstände nicht voranstellen. Diese Missstände sind noch längst nicht bewusst genug. Selbst am "Internationa­len Tag der Pressefreiheit", der in je­dem Jahr am 3. Mai in Erinnerung an die Grundsatzerklärung von Windhoek demokratische Strukturen unterstützen soll, werden die Missstände kaum be­achtet. Die Träger des Deutschen Presserates haben damit begonnen, eine Stiftung zu gründen, die dazu bei­tragen soll, die Missstände weltweit zu bekämpfen. Eine Besonderheit dieser Stiftung wird sein, dass sie von Anfang an mit dem Ziel initiiert ist, schon jetzt über das Internet Missstände publik zu machen und mit Hilfe des Internet in anderen Ländern Arbeitsbedingungen zu schaffen, die für die deutsche Pres­se selbstverständlich sind.

Betrachtet man im einzelnen die 41 Mitgliedsländer des Europarats, weiß man, wie stark allein schon in Europa durch direkte staatliche Repressalien In die Pressefreiheit eingegriffen wird.

Im September 2000 hat der Europarat in Kooperation mit internationalen Jour­nalistenorganisationen auf einem Kon­gress die Gefahren für die Unabhän­gigkeit der Presse durch Inhaftierun­gen, Einschüchterungen, Repressalien und Gewaltaktionen angeprangert. Die Regierung in Ankara ist bereits mehrfach vom Europäischen Gerichts­hof für Menschenrechte wegen unzu­lässiger Eingriffe in die Rechte oppositioneller Zeitungen verurteilt worden.

Ländern wie Jugoslawien und Weiß­russland wird die Mitgliedschaft im Eu­roparat unter anderem gerade wegen der negativen Einstellung zur Presse­freiheit verweigert.

Weltweit wird die Presse in 103 Län­dern zensiert oder sonst ‑ alltäglich ‑ unterdrückt, obwohl 185 Staaten die UN‑Menschenrechtskonvention vom 10. Dezember 1948 mit dem Recht auf Meinungs-, Informations- und Presse­freiheit angenommen haben.

In Afrika erscheint nur in drei von 55 afrikanischen Staaten eine freie Pres­se, wie sie westliche Demokratien ken­nen: in Südafrika, im Senegal und ‑ bedingt ‑ in Mali. Die Verhältnisse in Mali sind überdies ein Beispiel dafür, dass für eine wirkungsvolle Presse neben der Pressefreiheit auch noch Leser gewonnen werden müssen. In Mali leben 14 Millionen Einwohner. Die Zeitungen erreichen jedoch nur Aufla­genzahlen in einer Größenordnung von 10.000 Exemplaren.

In Sambia ‑ ein weiteres typisches Bei­spiel für die Verhältnisse in Afrika ‑ be­sitzt der Staat zwei von drei Tageszei­tungen. Diese beiden staatlichen Zei­tungen verbreiten 90 % der Auflage der sambischen Printmedien. Zudem sind in Afrika die meisten Radiosender und das Fernsehen in staatlicher Hand.

In der arabischen Welt beginnt nur in Marokko die Pressefreiheit zu wachsen. 

In Algerien, Syrien, Tunesien, Kuwait und im Irak wird inhaftiert und gefoltert; ‑ bevorzugt mit der Begründung, es müsse die Demokratie gegen ex­tremistische Islam-Bewegungen ge­schützt werden.

In China hat die Regierung zur Siche­rung der ideologischen Oberhoheit der Partei mehr als 200 von 2160 Zeitun­gen gänzlich verboten. Weitere Zeitun­gen sind in Parteiorganisationen inte­griert worden. Zensur und politische Kontrolle von Medien verstehen sich in China von selbst.

In Südostasien kontrollieren vor allem in Birma und Singapur die Regierun­gen die Presse. 1998 gründeten Journalisten aus Indonesien, Thailand und den Philippinen die "Southeast Asian Press Alliance" unter anderem mit der Klage, die Pressefreiheit werde in ih­ren Ländern insgesamt sogar noch stärker als durch Regierungen durch scharfen Wettbewerb, Sensationsjournalismus und ein geringes Berufsethos gefährdet. Solche Mängel werden bekanntlich auch in Deutschland beklagt. Darauf ist noch einzugehen. Aufhor­chen lässt ebenso international, dass in Lateinamerika die Kämpfer für die Pressefreiheit berichten, am schlimm­sten würden nicht Parlament oder Ver­waltung die Pressefreiheit beeinträch­tigen, sondern die Gerichte. Selbst die­ses Thema wird, jedoch auf einer anderen Ebene, ebenfalls für Deutsch­land diskutiert. Vgl. dazu in diesem Beitrag vor allem die Ausführungen zum Dezisionismus.

Ein Mitglied des Deutschen Pressera­tes, Franziska Hundseder, hat im Juli 2000 Venezuela besucht. Sie hat dort über die Bedeutung der Pressefreiheit in der Demokratie und die Bedeutung der Gewerkschaften für die Pressefrei­heit vor Journalistinnen und Journali­sten referiert. In Venezuela ist zwar die Pressefreiheit in der neuen Verfassung verankert. Unter Pressefreiheit wird in der Praxis jedoch mehr die "Freiheit" verstanden, das zu schreiben, was den Machthabern passt. Wer sich anders verhält, steht schnell unter Hausarrest.

Zum Iran sind Schlagzeilen bekannt wie: "Schlag gegen die Presse im Iran. Nahezu alle Reformzeitungen verboten. Verleger in Haft". Wer sich in Presseverboten auskennt, kann sich schon im vornhinein denken, wie die Zwangsmaßnahmen begründet wor­den sind: "Beleidigungen islamischer Heiligtümer" und "Verletzung nationa­ler Interessen".

In den post-sozialistischen Staaten entwickelte sich die Pressefreiheit unterschiedlich und teilweise verhält­nismäßig schwer durchschaubar. Die jüngsten Kämpfe um die Presse- und Medienfreiheit in Russland beim Privat­fernsehsender NTW, bei der Tageszei­tung Sewodnja und der Wochenzeitung Itagi sind bekannt.

Getötet wurden in der jüngeren Ver­gangenheit jährlich 50 bis 80 Medien­mitarbeiterinnen und -mitarbeiter bei der Ausübung ihres Berufes. Die mei­sten Journalisten kamen auf dem Bal­kan, in Russland, in Sierra Leone, in Kolumbien und Mexiko um. In den letz­ten 15 Jahren sind mehr als 700 Medienschaffende beruflich tödlich verunglückt. Am wenigsten aufgeklärt werden Morde in Kolumbien.

Jahr für Jahr wurden stets 80 bis 100 und mehr Journalistinnen und Journa­listen in 18 bis 20 Ländern inhaftiert. Mord, Folterungen, Zensur, Einschüch­terungsversuche sind aus vielen Län­dern bekannt. Die Dunkelziffer wurde, soweit bekannt, nicht konkretisiert.

Institutionen und Initiativen bemühen sich, die Öffentlichkeit für die Presse­freiheit zu sensibilisieren und die Pres­sefreiheit für die Politik zu einem zen­tralen Thema zu machen. Neben Verleger-, Journalisten- und Menschen­rechtsorganisationen ‑ wie Amnesty, Reporter sans Frontières, Initiative Aktion für die unabhängige Presse in Afrika, Internationaler Journalistenver­band, Komitee zum Schutz von Jour­nalisten, Internationales Forum der Chefredakteure, Weltverband der Zei­tungen, Verband Deutscher Zeitschrif­tenverleger ‑ hat sich die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa um die Pressefreiheit in den 54 Mitgliedsländern der OSZE verdient gemacht.

Durchsuchungen und Beschlagnahmen in der Bundesrepublik Deutschland

"Auf das sonst so leuchtend helle Bild von Pressefreiheit in Deutschland ist 1994 ein Schatten gefallen", leitete eine überregionale deutsche Tageszeitung am 10. Januar 1995 einen Artikel über den Jahresbericht 1994 des Interna­tionalen Presseinstituts ein. Dieser Jah­resbericht hatte eine Reihe "bedenkli­cher Vorkommnisse" aufgegriffen, ins­besondere sich häufende Redaktions­durchsuchungen. Wo stehen wir inso­weit in Deutschland, das ‑ wie nur we­nige Länder ‑ die Pressefreiheit zusam­men mit anderen Kommunikations­rechten in seiner Verfassung garan­tiert?

Die Vertraulichkeitssphäre der Presse gehört auch heute noch an erster Stelle zu den deprimierendsten Problemen des deutschen Pressewesens; ‑ trotz der Diskussionen um die "Tendenz zu mehr Flachsinn im Journalismus", um eine stärkere Personalisierung in der Berichterstattung, die Veränderung des Mainstream, eine zunehmende Medienkonzentration und anderes mehr. Der Deutsche Journalistenver­band hat 170 Fälle überprüft, in denen sich die Staatsanwaltschaft Material bei Journalisten beschafft hatte. In keinem Falle war ‑ obwohl vorgeschrieben und grundlegend ‑ der Verhältnismäßig­keitsgrundsatz thematisiert worden.

Kaum ein Thema ist in Theorie und Praxis für eine ausgewogene gesetz­geberische Lösung so gut vorbereitet wie das Pressegeheimnis, ‑ wenig­stens im Teilbereich des Vertrauens­schutzes gegenüber strafprozessualen Zwangsmaßnahmen. Verabschie­dungsreife Gesetzesvorschläge sind vorformuliert. Diese Vorschläge schüt­zen einerseits die Pressefreiheit noch hinreichend. Andererseits ist belegbar, dass hinter sie nicht zurückgegangen werden darf. Hinter diese verabschie­dungsreifen Vorschläge darf deshalb nicht zurückgegangen werden, weil diese Vorschläge gegen die Pressefrei­heit festlegen, dass das Presse­geheimnis zurückstehen muss, "wenn die zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten einer Teilnahme oder ei­ner Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei dringend verdächtigt werden". Noch größere Zugeständnis­se an die Strafverfolgung lassen sich nicht rechtfertigen. Aber, Gesetz und Praxis sind weit davon entfernt, die entscheidungsreifen, ausgewogenen Vorschläge zu realisieren.

Zwar wurden nun immerhin von der Bundesregierung der "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafpro­zessordnung" und von der F.D.P. der "Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Pressefreiheit" nach langen Vor­laufzeiten in den Bundestag einge­bracht und am 8. März 2001 nach ei­ner ersten Beratung in den Rechts­ausschuss und in den Ausschuss für Kultur und Medien überwiesen. Aber diese Entwürfe erreichen eben nicht den erwähnten entscheidungsreifen Stand, der im Sinne der wissenschaft­lichen Diskurstheorien bereits erreicht ist. Außerdem hat der Bundesrat schon vorab Bedenken geäußert. Nach der Geschichte der Diskussionen um das Pressegeheimnis ist sogar zu befürch­ten, dass selbst die von der Bundes­regierung befürworteten und erst recht die weitergehenden von der F. D. P. vor­geschlagenen Verbesserungen noch auf sich warten lassen werden.

Die wichtigste Neuerung ist nach bei­den Entwürfen, dass das Zeugnisver­weigerungsrecht und das Beschlag­nahmeverbot auf selbstrecherchiertes Material ausgeweitet werden; aller­dings ohne wirklich verlässlich zu schützen. Ohne verlässlichen Schutz ist diese Neuerung deshalb: Sie soll nach dem Entwurf der Bundesregie­rung nicht gelten, wenn ein Journalist selbst verdächtigt wird, an einer Straf­tat beteiligt gewesen zu sein oder die Tat decken zu wollen. Ein solcher Ver­dacht lässt sich unschwer konstruieren und nach den bisherigen Erfahrungen ist so gut wie sicher, dass er fortlaufend vorgegeben werden wird. Außer­dem wird es möglich bleiben, weiter­hin bei Telefonanlageunternehmen zu ermitteln, mit wem eine Journalistin oder ein Journalist telefoniert hat.

Noch kurz zur erwähnten, deprimieren­den Geschichte des Pressegeheim­nisses: Es gab in den letzten Jahrzehn­ten viele Aktivitäten und gute Absich­ten. Die Jahrbücher des Deutschen Presserates legen beredte Zeugnisse ab. In den vergangenen fünf Jahren haben sich die Verantwortlichen gera­dezu ununterbrochen bemüht: In Ge­sprächen des Deutschen Presserates mit den ‑ stets Verständnis bekunden­den ‑ Fraktionen des Bundestages; mit positiven Gesetzesentwürfen des Bun­desrates und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen; mit Beteuerungen aller Parteien im Bundestag, es gebe "in der Sache keinen Streit, das Ziel zu unter­stützen, die Presse besser vor Ober­griffen zu schützen"; mit fortdauernden Bemühungen der Verleger- und der Journalistenverbände sowie der Fern­sehanstalten bis hin zu einer gemein­samen Stellungnahme von ARD, BDZV, DJV, Deutscher Presserat, IG Medien, VDZ, VPRT und ZDF vom 14. Februar 2000 zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Die Jahrbücher des Deutschen Presserates spiegeln gerade auch für die vergangenen fünf Jahre die Geschichte der Hoffnungen und der nie ausbleibenden Enttäu­schungen wider. Wer über die Macht oder Ohnmacht der Presse reflektiert, muss diese Geschichte einbeziehen.

Die Grundrechts-Charta der EU

Die EU-Grundrechtscharta gefährdet die Pressefreiheit. Schon seit Jahren liefen Projekte. Am 26.9.2000 wurde dann von dem beauftragten Gremium (Konvent) ein "Entwurf der Charta der Grundrechte der Europäischen Union" vorgelegt. Der Europäische Rat hat dem Entwurf auf seiner Tagung vom 13. und 14. Oktober 2000 in Biarritz zugestimmt. Auf dem Gipfel von Niz­za im Dezember 2000 wurde das Werk verkündet. Die Charta muss aber noch In rechtlich verbindlicher Form verab­schiedet werden.

Einerseits bestimmt Art. 11 lediglich:

Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit

(1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingrif­fe und ohne Rücksicht auf Staats­grenzen zu empfangen und weiter­zugeben.

(2) Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet.

Andererseits werden in der Charta die gegen die Kommunikationsrechte ab­zuwägenden Rechte letztlich günstiger und zum Teil unnachgiebiger formuliert als die Kommunikationsrechte. So wird für das Recht auf Schutz personenbe­zogener Daten in Art. 8 der Charta fest­gelegt:

Schutz personenbezogener Daten

(1) Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden perso­nenbezogenen Daten.

(2) Diese Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten le­gitimen Grundlage verarbeitet wer­den. Jede Person hat das Recht, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die Berichtigung der Daten zu erwir­ken.

(3) Die Einhaltung dieser Vorschrif­ten wird von einer unabhängigen Stelle überwacht.

Man braucht kein Hellseher zu sein, um vorhersagen zu können, wie ge­gen das Pressegeheimnis abgewogen werden wird. Art. 8 bestimmt nun ein­mal konkret und unnachgiebig: Jede Person hat das Recht, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten". Wie aber soll mit der Re­gelung, dass "die Freiheit der Medien geachtet" wird (Art. 11 Abs. 2), erreicht werden, dass der nach Art. 8 Abs. 2 wortwörtlich zur Auskunft Verpflichte­te nicht zumindest mittelbar den Infor­manten preisgeben muss? Offenkun­dig ist Gefahr im Verzug.

Nach juristischem Denken wird dann zudem aus Art. 8 und Art. 11 immer wieder negativ gefolgert werden, die Kommunikationsrechte seien im kon­kreten Fall weniger gewichtig. "Gleich­bewertung des Gleichsinnigen" heißt dieser ‑ allgemein anerkannte ‑ Auslegungsgrundsatz bei den Rechts­methodikern.

Negative Auswirkungen ausländischer Gesetze auf die Pressefreiheit im Inland

Die Landes- und mithin die rechtlichen Grenzen bereiten ein Problem nach dem anderen. Allein für sich kann das einzelne Problem vielleicht hingenom­men werden. Aber insgesamt kann man über diese Probleme nicht hin­wegsehen. Die Presse muss sich un­unterbrochen mit unlösbaren, die Pres­sefreiheit beeinträchtigenden Aufga­ben befassen.

Die Pressegesetze der ausländischen Staaten weichen ‑ selbstverständlich ‑ teilweise vom deutschen Recht ab. Die Rechte der Staaten sind, wie be­kannt, nicht identisch. Was in Deutsch­land rechtmäßig ist, kann im Ausland rechtswidrig sein und umgekehrt. Oft gleicht sich innerhalb eines Rechts im Ergebnis vieles aus, so dass das in­ländische und das ausländische Recht alles in allem, "unterm Strich", gleich "günstig" oder "ungünstig" sind. Oft erklärt sich eine besonders negative Regelung daraus, dass sie andere positive Regelungen ausgleichen muss und so wieder im Ganzen ein Gleichgewicht schafft. Aber punktuell kann eine bestimmte Publikation in Deutschland eben rechtmäßig, in Frankreich dagegen rechtswidrig sein. Die Internationalrechtler sprechen von einem "Streudelikt" und wenden nach einer "Mosaiktheorie" für jede einzel­ne Rechtsfrage in jedem Vertriebsland das "Ortsstatut" an.

Die Pressefreiheit wird demnach in Fäl­len mit Auslandsberührung einge­schränkt, weil Zeitschriften und Zeitun­gen bei negativ abweichendem auslän­dischen Recht selbst für deutsche Tou­risten und für im Ausland lebende deut­sche Abonnenten nicht sanktionslos ins Ausland exportiert werden dürfen. Bei­spielsweise ist das französische Recht zu einer Frage wie der Publikation von Bildern teilweise "strenger" als das deutsche (zu anderen Fragen ist das französische Recht dagegen "großzü­giger"). Die französischen Gerichte ent­scheiden, wenn das französische Recht für die Presse ungünstiger ist, gegen die deutsche Presse und billi­gen für den nach Frankreich exportier­ten Teil grundsätzlich auch eine Geld­entschädigung zu. Im Besonderen in Frankreich beschaffen sich Anwalts­kanzleien systematisch lukrative Ar­beit, indem sie Zeitschriften und Zei­tungen nach typischen ortsrechtlichen Fehlern durchsuchen und sich dann einen Auftrag verschaffen, wenn sie sich nicht schon im vorhinein einen Blankoauftrag von dem einen oder anderen Prominenten gesichert haben. Alle Versuche, über EU-Recht und den Europäischen Gerichtshof oder über internationalprivatrechtliche Argu­mente die Rechtsanwendung zu har­monisieren oder sonst praktikabel die Presserechtsprobleme grundlegend zu ordnen, sind bislang gescheitert.

Ausländische Redaktionen leiden nach dieser Mosaiktheorie umgekehrt unter den gleichen Schwierigkeiten in Deutschland. Vor allem die britischen Zeitschriften und Zeitungen sind betrof­fen. Britischen Journalistinnen und Journalisten die deutsche Rechtspre­chung zu Text- und Bildpublikationen über relative Personen der Zeitge­schichte verständlich zu machen, gleicht der Aufgabe, euklidisch die Quadratur des Kreises zu finden.

Die Redaktionen können aber selbst­verständlich nicht alle Beiträge nach dem Recht aller Exportländer prüfen, und es lässt sich nicht vertreten, ent­sprechend individuell für jedes Land gesondert zu drucken. Die Alternative, überhaupt keine Zeitungen und Zeit­schriften ins Ausland zu liefern, drängt sich nur juristisch auf. Die Pressefrei­heit gerät insoweit zwischen alle Mühl­steine. Verlage, die sich realistisch gesetzestreu verhalten möchten, müs­sen zumindest die Rechte der Länder einhalten, in denen ihre Zeitschriften systematisch überprüft und angegrif­fen werden. Das heißt aber: Die Pres­sefreiheit richtet sich nach der im Ein­zelfall punktuell unfreiesten ausländi­schen Regelung zulasten der Infor­mationsinteressen der vielen inländi­schen Leser; ‑ obwohl unter Umstän­den nur verhältnismäßig wenige Touri­sten, Auslandsvertretungen und Landsleute im Ausland erreicht wer­den.

Keine Harmonisierung der Pressegesetze der berufsethischen Grundsätze und anderer presserelevanter Normen

Wie sieht es überhaupt mit der Har­monisierung aus? Mit welchen Aus­wirkungen auf die Pressefreiheit?

Die Presseräte in Europa haben am 10. Juni 1999 in London die Alliance of Independent Press Councils of Europe, AIPCE, gegründet. Am 28. und 29. September 2000 trafen sich die europäischen Presseräte in Bonn auf Einladung des Deutschen Presse­rates zum zweiten Mal. Es gibt auch bilaterale Kontakte.

Gegenwärtig müssen sich die Presse­räte in Europa jedoch weitgehend dar­auf beschränken, sich gegenseitig zu informieren und voneinander zu ler­nen. Die Pressegesetze und die berufsethischen Grundsätze in Euro­pa weitgehend zu harmonisieren, ist zur Zeit aus mehreren Gründen kein Thema. Es fehlt an Gesetzgebungs­zuständigkeiten der EU, und die Vor­stellungen über die gesetzlichen Rech­te und Pflichten der Presse klaffen in Europa noch zu weit auseinander. Was die berufsethischen Grundsätze be­trifft, ist zwar vom Wortlaut her durch­aus denkbar, die Kodizes zu einem Gemeinschafts-Kodex zu harmonisie­ren. Aber eine einheitliche Anwendung der Grundsätze ist weitgehend ausge­schlossen. Die Unterschiede sind so groß, dass es wohl auf absehbare Zeit auch nicht realistisch sein wird, wenig­stens einen Gemeinschafts-Kodex zu verabschieden (und nur die Anwendung der einzelnen Bestimmungen je­dem Presserat zu überlassen). In der Praxis steht vor allem entgegen, dass in Großbritannien auch ethisch weit stärker zugunsten der Pressefreiheit im Spannungsfeld zu Persönlichkeitsrech­ten abgewogen wird als auf dem Kon­tinent, und dass zwischen den Rechts­kreisen gegenwärtig kein Kompromiss gefunden werden kann. Auf der er­wähnten Bonner Tagung der Presse­räte in Europa am 28. und 29. Sep­tember 2000 zeichnete sich zum Bei­spiel ab, dass sich die Presseräte zu Text- und Bildpublikationen über die Opfer spektakulärer Unglücksfälle ge­genwärtig nicht einigen könnten.

Der von der Globalisierung ausgehen­de Zwang zu einer Vereinheitlichung bricht nur vereinzelt Bahnen. In den U.S.A. gibt es keinen Presserat, der dem Deutschen Presserat ähnelt. In Einrichtungen wie dem "National News Council" kontrolliert sich die Presse nicht selbst. Ein Wissenschaftler aus den Vereinigten Staaten analysiert zur Zeit, warum es in den U.S.A. keinen ‑ den europäischen Presseräten ver­gleichbaren ‑ Presserat gibt, und ob die U.S.A. von den deutschen Erfahrun­gen profitieren könnten. Zu einer glo­balen Harmonisierung der berufsethi­schen Grundsätze ist es demnach weit. Punktuelle Ansätze zeigen sich jedoch. So wird in Deutschland zur Zeit diskutiert, ob die journalistischen Verhaltensgrundsätze zu Insider­informationen entsprechend den von vielen U.S.-Unternehmen geschaffe­nen Regelungen anders gefasst wer­den sollen. Der Gastbeitrag in diesem Jahrbuch äußert sich zu diesem The­ma detailliert. Würde der deutsche Kodex an die U.S.-Regelungen ange­passt werden, dann würden die Jour­nalistinnen und Journalisten stärker eingeschränkt. Sie dürften etwa grund­sätzlich keine Aktien von Unternehmen halten, über die sie berichten. Die Pro­blematik ist jedoch vielfältig. Die Re­gelungen der U.S.-Unternehmen müssen unter Umständen auch in einem speziell U.S.-arbeitsrechtlichen Ge­samtzusammenhang gesehen werden.

Ergänzend muss das Kartellrecht an dieser Stelle erstmals als weiteres Pro­blem erwähnt werden. Im Kartellrecht behindert die deutsche Gesetzgebung teilweise anachronistisch die Presse­freiheit im internationalen Wettbewerb. im Ausland können sich ‑ anders als im Inland ‑ Verbindungen entwickeln, mit denen die inländischen Verlage auch im Inland gegen ausländische Verlage nicht mehr konkurrieren kön­nen.

Die Gesetzgebung zum Datenschutz

Weitaus größer als zum Pressege­heimnis war bislang das Verständnis des deutschen Gesetzgebers für die Pressefreiheit bei der Umsetzung der EG-Datenschutzrichtlinie. Dieses bes­sere oder schlechtere Verständnis des Gesetzgebers kann auch von wenigen Personen oder einem einzelnen Mei­nungsführer abhängen.

Am 9. Mai 2000 hat Bundesinnenmini­ster Otto Schily auf einer Pressekon­ferenz gemeinsam mit dem Deutschen Presserat bekannt gegeben, dass bei der Umsetzung der EG-Datenschutz­richtlinie für den redaktionellen Daten­schutz eine angemessene Lösung ge­funden worden ist. Als Lösung gegen ein vorstellbares grundsätzliches ge­setzliches Verbot der Datenverarbei­tung mit Erlaubnisvorbehalt, gegen ei­nen betrieblichen Datenschutzbeauftragten, gegen gesetzliche Auskunfts- und Schadensersatzpflichten mit einer umgekehrten Beweislast wurde die Selbstkontrolle eingesetzt. Zu ihr führt die Begründung des Gesetzesentwurfes aus:

"Der Deutsche Presserat wird im Wege der Selbstregulierung ergänzende Re­gelungen treffen. Inhalte dieser Selbst­regulierung werden insbesondere die Erarbeitung von ‑ nicht notwendiger­weise auf den Anwendungsbereich der §§ 5 und 9 beschränkten ‑ Verhaltens­regeln und Empfehlungen, eine regel­mäßige Berichterstattung zum redak­tionellen Datenschutz sowie die Schaf­fung eines Beschwerdeverfahrens sein, das Betroffenen die Möglichkeit einer presseinternen Überprüfung beim Umgang mit personenbezogenen Daten eröffnet."

Eine Kommission des Deutschen Pres­serates hat mittlerweile diesen Antrag umgesetzt. Ober Einzelheiten und den Stand des Verfahrens unterrichtet der Bericht des Geschäftsführers in die­sem Jahrbuch.

Gesetzliche Werbeverbote

Ehe zur Rechtsprechung übergegan­gen werden kann, interessieren noch gesetzliche Werbeverbote. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 5.Oktober 2000 zur Nichtigkeit der "Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über Werbung und Sponsoring zugun­sten von Tabakerzeugnissen" hat vor­erst die Presse und ihre Freiheit vor einer unter Umständen verheerenden Gefahr gerettet (und die einzelnen Staaten vor einer Kompetenz-Kompe­tenz der EU).

Hätte der Europäische Gerichtshof die Richtlinie gegen die Tabakwerbung für rechtmäßig erklärt, hätte der Presse ein Domino-Effekt gedroht. Unter Do­mino-Effekt bei den Werbeverboten wird verstanden, dass ein für einen Bereich erlassenes Werbeverbot wei­tere Werbeverbote nach sich zieht: Werbeverbote gegen Alkohol, Automo­bile, Kindernahrung, bestimmtes Kin­derspielzeug, Pharmazeutika usw. Deshalb ist bei den Prozessen gegen die Tabakwerbeverbots-Richtlinie von einem "Stellvertreterkrieg" gesprochen worden. Allein die Werbeverbote, die nach dem Dominoeffekt unmittelbar für Deutschland drohten, hätten bewirkt, dass der Pressejährlich 2,5 Milliarden DM brutto Werbegelder verloren ge­gangen wären und folglich so etwas wie 550.000 Seiten redaktioneller Text nicht mehr hätten finanziert werden können. Es versteht sich von selbst, dass die Pressefreiheit im heutigen Sinne schon weit vor diesen 550.000 Seiten am Ende wäre. Zu befürchten ist bei Werbeverboten zudem, dass sie nicht nur auf dem Wege über die Fi­nanzen, sondern direkt in die redak­tionelle Tätigkeit eingreifen. Die Redak­tionen müssten sich nämlich vermut­lich immer stärker der Argumentation erwehren, dass redaktionell nicht ge­fördert werden dürfe, was der Werbung aus Gründen des Allgemeinwohls ver­boten sei. Soweit ersichtlich, wird die­se ‑ für die Pressefreiheit genauso gro­ße ‑ Gefahr bis jetzt noch gar nicht aus­gesprochen.

Die Gefahr einer Einschränkung der Pressefreiheit durch Werbeverbote ist jedoch nicht gebannt. Wie groß die Gefahr einer Einschränkung der Pres­sefreiheit durch Werbeverbote ist, be­weisen die neuesten Meldungen vom März 2001: Die Europäische Kommis­sion will noch im ersten Halbjahr 2001 die Arbeiten für ein neugefasstes Zigarettenwerbeverbot abschließen.

Die mit dem Tabakwerbeverbot gewon­nenen Erfahrungen verdeutlichen, dass die Presse künftig noch früher berechtigte Interessen in die Gesetz­gebungsverfahren einbringen muss. Solche berechtigte Interessen müssen offenbar zur Pressefreiheit erst noch stärker bewusst gemacht werden als sonst bei Interessenabwägungen: Es geht ‑ selbstverständlich ‑ nicht darum, ob Werbeadressaten geschädigt wer­den dürfen. Unfraglich geht die Ge­sundheit vor. Nur: Die Meinung, dass ein Werbeverbot den Konsum drosse­le, ist bislang ein Vorurteil geblieben; ‑ auch was den Konsum durch Jugend­liche betrifft. Erwiesen ist andererseits, dass die Verbraucher mit Werbung besser informiert werden können, und dass Werbung Strukturen verändern kann; so kann sie den Marktanteil der weniger schädlichen Produkte erheb­lich ausweiten. Zu den berechtigten In­teressen gehört weiter, dass die Pres­sefreiheit in Deutschland nicht durch sachfremde Interessen anderer Staaten eingeschränkt wird; so durch die nationalen Interessen des einen oder anderen europäischen Staates, die gegenwärtige Vormachtstellung staatsei­gener Marken zu erhalten.

Festigung der Pressefreiheit durch das Bundesverfassungsgericht

Beim Festakt anlässlich des vierzigjäh­rigen Bestehens des Deutschen Pres­serates am 20. November 1996 und im Jahrbuch 1996 des Deutschen Presserates wurde angeregt, die Grundlagen der Pressefreiheit stärker wissenschaftlich zu erforschen und die wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Rechtsprechung einzubeziehen. Die­se Anregung wurde zu einem beacht­lichen Teil umgesetzt. Das Bundesver­fassungsgericht hat in einem weitrei­chenden Grundsatzurteil vom 15. De­zember 1999, zu dem ihm ein kom­munikationswissenschaftliches Gut­achten vorgelegt worden war, wichti­ge kommunikationswissenschaftliche Erkenntnisse rechtlich umgesetzt. Die Diskussion zur Tragweite dieses Ur­teils ist noch längst nicht abgeschlos­sen. Im Ergebnis hat das Bundesver­fassungsgericht ein Urteil des Bundes­gerichtshofes aus dem Jahre 1995 bestätigt. Nach diesem Urteil vom 15. Dezember 1999 ist von der Rechtspre­chung grundsätzlich zu beachten: Pro­minente stehen für bestimmte Wert­vorstellungen und Lebenshaltungen; sie haben eine Leitbild- und Kontrast­funktion. Sie vermitteln Realitätsbilder und Gesprächsgegenstände. Deshalb besteht auch im juristischen Sinne "ein berechtigtes Interesse daran zu erfah­ren, ob Prominente ihr funktionales und persönliches Verhalten überzeu­gend in Übereinstimmung bringen"; so ausdrücklich das Bundesverfassungs­gericht.

Das Bundesverfassungsgericht hat dementsprechend auch sog. Papa­razzifotos akzeptiert, soweit diese Fo­tos in der Öffentlichkeit aufgenommen worden sind und die erwähnten kom­munikationswissenschaftlichen Kriteri­en erfüllten. Das Bundesverfassungs­gericht hat darüber hinaus auch noch im Sinne der Presse die schon erwähn­te "Hahn auf- und Hahn zu-Mentalität" abgewiesen. Diese Mentalität stand schon am 16. September 1998 im Mit­telpunkt einer Tagung des Deutschen Presserates, über die das Jahrbuch 1998 in zwei Beiträgen berichtet. In dieser Veranstaltung schilderten die drei eingeladenen Chefredakteure Fäl­le, in denen Prominente nach Belieben der Presse entweder Einblicke gewähr­ten oder sie ausschlossen. Das Bun­desverfassungsgericht urteilte nun so, dass Prominente nicht grundsätzlich über eine Einwilligung Publikationen steuern und eine "Hofberichterstattung" erzwingen können. Insbesondere dür­fen Prominente, wenn sie sich mit einer Privatangelegenheit in die Öffentlichkeit begeben haben, nicht verbieten, dass die Presse künftig weiter über diese Pri­vatangelegenheit berichtet.

Soweit das Urteil vom 15.12.1999 auf­grund des Artikels 6 des Grundgesetzes gegen die Presse entschieden hat, wurde im Ergebnis nichts verändert. Auf den Schutz der Familie gestützt, hat das Urteil auch prominenten Eltern einen eigenen Anspruch auf Unterlas­sung eingeräumt, wenn sie sich ihren Kindern hinwenden. Aber auch schon zuvor stand fest, dass die Kinder nicht mit ihren prominenten Eltern abgebil­det werden dürfen. Neu ist somit nur, dass die Eltern den Unterlassungsan­spruch nicht nur als gesetzliche Ver­treter, sondern auch aus eigenem Recht erfolgreich geltend machen kön­nen. Die Tendenz dieser Entscheidung vom 15.12.1999 wird durch einen Beschluss der 1. Kammer des Ersten BVerfG-Senats vom 4.4.2000 und durch einen Kammer-Beschluss vom 25.11.1999 bestätigt.

In einem weiteren Grundsatz-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht die ge­gen die Presse gerichteten Urteile der Pressekammer des Landgerichts und des Pressesenats des Oberlandesge­richts eines Gerichtsbezirks aufgeho­ben. Diese Entscheidungen billigten gegen einen Verlag einen urheber­rechtlichen Auskunftsanspruch zu, ohne gegen die Interessen der Presse auch nur abzuwägen. Im konkreten Fall hätte bedacht werden müssen, dass dem Auskunftsanspruch das Pressegeheimnis entgegenstehen könnte. Das Bundesverfassungsgericht hielt in seinem Urteil vom 28. Mai 1999 der Pressekammer und dem Pressesenat vor, dass zu der gebotenen Abwägung mit den Belangen der Pressefreiheit "die angegriffenen Entscheidungen jegliche Ausführungen vermissen las­sen". Das heißt, für hoch angesehene und verantwortungsbewusste, sogar auf Presserecht spezialisierte Richter erster und zweiter Instanz blieb das Pressegeheimnis gänzlich bedeu­tungslos. Die Gerichte ließen "jegliche Ausführungen vermissen". Müsste man von einer Presse-Kammer und einem Presse-Senat nicht selbstver­ständlich das Gegenteil erwarten? Die­ses eine Mal konnte das Bundesver­fassungsgericht abhelfen. Das Bun­desverfassungsgerichts-Gesetz ist aber darauf angelegt, dass das Bun­desverfassungsgericht nicht regelmä­ßig angerufen werden soll und kann. Um die Pressefreiheit steht es deshalb dann besonders schlecht, wenn in er­ster und zweiter Instanz Richter zu­ständig sind, welche die Pressefreiheit im Einzelfall nur verhältnismäßig ge­ring schätzen oder sie womöglich über­haupt negieren. Diese Überlegungen betreffen das noch weithin unbekann­te Problem des Dezisionismus.

Einschränkung der Pressefreiheit durch Dezisionismus

Auf dem Journalistinnen- und Journa­listentag der IG Medien am 27. No­vember 1999 wurde unter anderem ausführlich diskutiert, ob der gesell­schaftliche Auftrag der Medien dezi­sionistisch durch die Rechtsprechung tiefgreifend eingeschränkt wird. Die­ses Problem des Dezisionismus ist in seinen Auswirkungen noch unbe­kannt. Worum geht es?

Der hoch anerkannte Rechtswissenschaftler Peter Lerche hat schon 1990 konstatiert: Wer vorhersehen will, wie die Gerichte zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsrechten im Einzel­fall abwägen, wird "in die Zwangsrolle eines Hellsehers versetzt, eine ver­zweifelte Rolle". Diese unglückliche Si­tuation ergibt sich ‑ was erst noch bes­ser erkannt und bekannt gemacht wer­den muss ‑ aus einem methodischen Problem:

Der einzelne Richter entscheidet in zweifelhaften Fällen "subjektiv-dezisio­nistisch"; das heißt, er entscheidet ‑ so verantwortungsbewusst wie möglich ‑ nach seinem eigenen Rechtsgefühl. Es lässt sich jedoch nicht negieren, dass Richter ganz unterschiedliche Rechts­gefühle gegenüber der Presse hegen. So ist es möglich, dass in einem Ge­richtsbezirk ein kleiner Kreis gleichge­sinnter Richter stark gegen die Pres­sefreiheit entscheidet. Eine solche Tat­sache wird unter den im Presserecht spezialisierten Rechtsanwälten schnell bekannt. Der "fliegende Gerichtsstand" erlaubt, dass jeder Anwalt bei dem Gericht klagt, das ihm konveniert. So wird die Rechtsprechung gegen die Presse kanalisiert. Es wird stets bei dem Gericht gegen die Presse geklagt, das im Zweifel gegen die Presse ab­wägt.

Als Hoffnung bleiben der Presse nur der Bundesgerichtshof und das Bun­desverfassungsgericht. Diese Gerich­te dürfen jedoch nur in einem engen Rahmen eingreifen und außerdem ent­scheiden auch diese höchsten Gerich­te in Zweifelsfällen genauso subjektiv-dezisionistisch.

Kritisiert werden mit diesen Hinweisen auf den Dezisionismus nicht die Ge­richte. Die Gerichte arbeiten bestmög­lich. Zu kritisieren ist eher die Rechts­wissenschaft, die den Gerichten noch keine besseren Methoden zur Verfü­gung stellt. Die Wissenschaft versagt insoweit weltweit.

Sind die Entscheidungen der Presse­kammer und des Pressesenats, zu de­nen die Rechtsprechung gegenwärtig kanalisiert wird, wirklich für die Pres­sefreiheit bedenklich? Hier ein typi­sches Beispiel für Bildpublikationen:

Diese Gerichte nehmen an, dass ein bestimmter, weithin bekannter Adeliger keine absolute Person der Zeitge­schichte ist, und dass Fotos von ihm nur publiziert werden dürfen, wenn sie ihn speziell bei einem Ereignis der Zeit­geschichte zeigen. Das heißt nach die­ser Rechtsprechung: Wenn über die­sen Adeligen berichtet wird, darf die­ser Bericht nicht mit einem Portrait-Foto illustriert werden, das ihn bei ei­nem anderen Anlass zeigt. Dies gilt auch dann, wenn das Porträt aus ei­ner bereits früher rechtmäßig publizier­ten Abbildung stammt, die bei einem offiziellen Anlass mit Zustimmung des Adeligen aufgenommen worden ist und ihn vorteilhaft wiedergibt.

Und ein Textbeispiel aus den Urteilen dieser Pressekammer des Landgerich­tes und dieses Pressesenats des Oberlandesgerichtes:

Die Tochter eines allgemein bekann­ten, öffentlichkeits-interessierten und besonders reichen Industriellen heira­tete. Aus Anlass der Hochzeit dieser Milliardenerbin schrieb eine aktuelle Il­lustrierte über das Paar:

"Sie begegneten sich schon vor acht Jahren, kamen aber erst '96 bei der Dauerparty 'Hamburger Nächte' ins Turteln."

Weiter hieß es in diesem Bericht über die Braut:

"Sie fährt einen Audi von der Stange, hasst Bodyguards, liebt ihren Labra­dor, Dirndl ... ."

Beide Texte sollen rechtswidrig sein. Die Begründung:

"Auch der Gesichtspunkt, dass es sich bei der Eheschließung der Klägerin um einen Vorgang handelt, an dem durch­aus ein erhebliches Interesse der Öf­fentlichkeit bestehen dürfte, rechtfer­tigt den über die Vorstellung der Ehe­partner und die Darstellung von im Zu­sammenhang mit der (bevorstehen­den) Hochzeit stehenden Einzelheiten weit hinausgehenden Eingriff in die Pri­vatsphäre der Klägerin nicht."

Wie immer muss abgewogen werden zwischen den Persönlichkeitsrechten einerseits und der Pressefreiheit sowie dem Informationsinteresse der Öffent­lichkeit andererseits. Die Gerichte die­ses Bezirks wägen nun eben so ab, wie es hier dargestellt wurde.

Soweit bei Veranstaltungen und in Gesprächen festgestellt werden konn­te, werden diese Urteile nahezu allge­mein abgelehnt. Es werden jedoch eben nur die Gerichte dieser Stadt angerufen und der Bundesgerichtshof sowie das Bundesverfassungsgericht gelangen, wie erwähnt, wegen enger Zuständigkeitsregelungen in der Sache zu keinen Entscheidungen. So kann sich dann grundlegend die Abwä­gungsgrenze gravierend zu Lasten der Pressefreiheit verschieben. Der gesell­schaftliche Auftrag der Medien wird unmerklich eingeschränkt.

Es handelt sich bei diesen Urteilen um die oben zur Harmonisierung erwähn­te Rechtsprechung, die britischen Re­dakteuren unverständlich bleibt, wenn sie in Deutschland verklagt werden.

Einschränkung des Pressegeheimnisses durch die Rechtsprechung

Im Gesetzgebungsteil wurde bereits geschildert, wie schwierig es ist, das grundsätzlich anerkannte Presse­geheimnis gesetzlich in die Tat umzu­setzen. Im Rechtsanwendungsteil wur­de dann über das Beispiel berichtet, in dem Pressegerichte erster und zwei­ter Instanz eine Abwägung mit dem

Pressegeheimnis nicht einmal für er­wähnenswert hielten. Die Urteile bei­der Instanzen ließen ‑ so das Bundes­verfassungsgericht ‑ zu einem "das Geheimhaltungsbedürfnis der Presse überwiegenden Interesse an der be­gehrten Auskunft jegliche Ausführun­gen vermissen".

Die Pressefreiheit wird auch sonst tag­täglich dadurch eingeschränkt, dass das Pressegeheimnis verhältnismäßig gering eingeschätzt wird. Die Verlage und die Journalisten verlieren Zivilpro­zesse, weil sie nach ihren Berufs­grundsätzen ihre Informanten nicht als Zeugen benennen dürfen und die Ge­richte im Rahmen der freien Beweis­würdigung die anonymisierenden Zeu­genaussagen der Journalisten oft nicht genügen lassen. Anders ausgedrückt: Das aus der Pressefreiheit folgende Pressegeheimnis gewinnt im Rahmen der freien Beweiswürdigung nur be­dingt Bedeutung. Die Redaktionen ver­lieren Zivilprozesse deshalb, weil sie ethisch verpflichtet sind, Informanten nicht preiszugeben. Diese Zivilpro­zesse führen insbesondere auch dazu, dass die Redaktionen aus Beweisgrün­den verurteilt werden, wahre Äußerun­gen zu unterlassen (obwohl die Redak­tionen definitiv wissen, dass diese Äu­ßerungen zutreffen).

Wenn dagegen ‑ außerhalb der Pres­se ‑ staatliche Interessen unmittelbar, direkt und klar ersichtlich sind, wird der Geheimnisschutz hoch geschätzt und stark gewichtet. Ein Musterbeispiel bildet der Geheimnisschutz für Informan­ten der Finanzbehörden. Es gelingt den bei Finanzämtern Denunzierten ge­richtlich fast nie, den im Datenschutz­recht verankerten Anspruch auf Nen­nung eines Informanten durchzuset­zen. So hat der Verfassungsgerichts­hof Rheinland-Pfalz den Geheimnis­schutz sogar für den Fall anerkannt, dass sich die an das Finanzamt über­mittelten Daten als falsch erwiesen, der Betroffene also nachweisbar zu Un­recht denunziert und verfolgt wurde.

Die ungleichgewichtige Rechtspre­chung wird sogar noch einmal gestei­gert: Wenn im Finanzgerichtsbereich dagegen speziell das Pressegeheimnis in Frage steht, wird wieder eher ge­gen das Pressegeheimnis abgewogen und erneut direkt für unmittelbar er­sichtliche Staatsinteressen entschie­den. So hat der Bundesfinanzhof am 15. Januar 1998 entschieden, dass sich Journalisten in der Regel nicht auf das Pressegeheimnis berufen dürfen, wenn nach § 4 Abs. 5 des Einkommen­steuergesetzes zu Bewirtungskosten der Anlass und die Teilnehmer ange­geben werden müssen.

Selbstschädigung

"Wo früher der Staat die Pressefreiheit bedrohte, tun das jetzt die Medien selbst", wurde am 29.12.1999 in einer Wochenzeitung konstatiert. Je nach­haltiger ethische Grenzen überschrit­ten werden und je mehr die Presse an Ansehen verliert, desto stärker wird die Pressefreiheit gefährdet. In das Anse­hen der Printmedien können heute mittelbar auch andere Medien eingrei­fen, insbesondere das Fernsehen und das Internet. Kolportiert wird der Satz: "Wir brauchen im Netz keine Schleusenwächter, weil es keine Schleusen gibt".

Die Verhältnisse sind komplex. Noch Anfang des Jahres 2000 wurde den Medien ‑ vor allem wegen der Spen­denenthüllungen ‑ applaudiert, und die Medien waren mit sich selbst zufrie­den. Seit dem Jahresende 2000 wer­den die Medien von vielen in einer schwerwiegenden Krise gesehen mit den Schlagworten: Medienskandal von Sebnitz; Ellbogen-Journalismus; Ver­lust von Anstand und Abstand; Kreis­verkehr künstlicher Neuigkeiten; alle Distanz journalistischer Arbeit wird mit dem Bildschirm aufgehoben; die Me­dien als Abbild der Gesellschaft; wenn die Politik zur Show und der Journalis­mus überflüssig wird; keine Unterschei­dung zwischen Nachricht und Kom­mentar; manchem erscheinen die Me­dien schon als erste Gewalt.

Auf der Tagung des Studienkreises für Presserecht und Pressefreiheit hat im Mai 2000 ein in Deutschland und Eu­ropa besonders angesehener und einflussreicher Referent gar sinnge­mäß die Ansicht vertreten, die Medien hätten das datenschutzrechtliche Medienprivileg verwirkt. Der Grund: Der Fernseh- und Internetalltag. Zur Praxis des Fernsehens führte der Re­ferent selbstverständlich Sendungen wie Big Brother an. Für die Praxis des Internet berief er sich insbesondere und vehement auf die Vermengung von Werbung und Redaktion.

Hauptproblem ist in Deutschland, dass die ethische Selbstkontrolle im Fern­sehen und im Internet kaum existiert. Für das Fernsehen ist der Deutsche Presserat generell unzuständig. Für Beschwerden über digitale journalisti­sche Beiträge ist der Deutsche Pres­serat bislang nur zuständig, wenn sie "zeitungs- oder zeitschriftenidentisch" sind. Die für das Fernsehen und das Internet zuständigen Stellen sind, so­weit es hier interessiert, nicht wirkungs­voll; nur auf den Jugendschutz wird stärker geachtet.

Die Gefahr, dass sich die Meinung des Referenten nach und nach im Ergeb­nis durchsetzen wird, besteht durch­aus. Die Werte und Erfahrungen ver­schieben sich. Diese Verschiebungen wirken sich selbstverständlich vielfäl­tig auf die Presse aus, zumal die Pres­se mit Hintergrundinformationen und -analysen sowie mit Leitbildern an die anderen Medien anschließen und auf sie eingehen muss. Die Presse kann auch in den Ansehensschwund hinein­gezogen werden. Dieser Schwund wird sich wiederum über den beschriebe­nen Dezisionismus auswirken; ‑ nicht nur in der Rechtsanwendung, sondern auch schon in der Gesetzgebung. Oder aus anderer Sicht: Wenn sich die Medien in einem großen Bereich nicht selbst kontrollieren, versteht sich von selbst, dass auch der andere, zusam­menhängende Bereich mitgezogen wird. Einrichtungen wie die Landes­medienanstalten wollen und können die ethische Selbstkontrolle nicht er­setzen. Selbst wenn allerorten Verstö­ße gegen die verfassungsrechtlich ge­schützte Menschenwürde beklagt wer­den, also Verfassungsverstöße, greift diese Kontrolle nur teilweise. Hätte sich von Anfang an ein Selbstkontrollorgan ethisch mit dem Reality-Fernsehen befasst und Auswüchse gerügt, wäre das Problem eingedämmt worden, oder es hätte entschieden werden müssen, die Selbstkontrolle zu sprengen. Welcher Sender aber hätte es auf sich genommen, die Selbstkontrolle zu sprengen? Viel wahrscheinlicher ist, dass den Sendern nur der ethische Ordnungsrahmen und eine gemeinsa­me Instanz fehlen. Wer hofft, die Ver­hältnisse könnten sich bessern, täuscht sich offenbar. Der Verband privater Rundfunk und Telekommunikation hat erst jetzt im Februar 2001 erneut ab­gelehnt, freiwillige Verhaltensgrund­sätze für Reality Soaps und Psycho-Formate zu entwickeln. Der VPRT möchte, dass jeder Sender eigen- und alleinverantwortlich bleibt. Am 9. April 2001 eskalierte die Auseinanderset­zung noch auf einem Treffen von Ver­tretern der Landesmedienanstalten und der Fernsehsender. Der Geschäfts­führer eines Privatsenders erklärte scharf und uneingeschränkt: "Für uns Fernsehmacher gilt weiterhin die Ent­scheidung des Zuschauers. Das ist nun mal, gottlob, so in einer Demokratie."

Einschränkung des inländischen Vertriebs durch eine ‑ für die Presse ‑ problematische Rechtsprechung zum Wettbewerbsrecht

Häufig wird die Presse wettbewerblich unnötig behindert. Ein Beispiel:

Darf der Verlag Abonnenten anrufen; ‑ so, wenn die Abonnenten nach einer Kündigung davon überzeugt werden sollen, doch weiterhin die Zeitschrift oder die Zeitung zu beziehen? Dürfen die Abonnenten mit Telefaxen und per e-Mail angeschrieben werden? Diese Fragen münden in die Frage, ob über­haupt ‑ nicht nur von der Presse ‑ Per­sonen und Unternehmen direkt per Telefon, e-Mail und Telefax kontaktiert werden dürfen. In Deutschland ist die Rechtsprechung rigoros. Sie geht über die Rechtsprechung der meisten aus­ländischen Gerichte hinaus und unter­scheidet nicht zwischen der Presse und den anderen Professionen. Nach der deutschen Rechtsprechung ver­stößt es generell gegen die guten Sit­ten im Sinne des § 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, wenn Haushalte angerufen werden und der Betroffene nicht zuvor in eine solche Vertriebsmaßnahme eindeutig eingewilligt hat. Aus der Tatsache, dass jemand Abonnent ist, darf nach der deutschen Rechtsprechung nicht rück­geschlossen werden, dass er mit ei­nem Anruf einverstanden ist. Es reicht nicht einmal aus, dass der Abonnent dem Verlag ganz allgemein seine Te­lefonnummer angegeben hat und vor der Unterschrift vorgedruckt worden ist, der Abonnent erkläre sich mit ei­nem Anruf einverstanden.

Auch auf diesem Gebiet versuchen der Deutsche Presserat und die Verbände in Gesprächen mit dem Gesetzgeber, dass die Interessen anders ausgegli­chen werden. Sie streben die Lösung "Liste Robinson" an. Diese Lösung be­sagt, dass grundsätzlich nur derjenige nicht angerufen werden darf, der sich in eine Liste hat eintragen lassen.

Gratiszeitungen

Noch immer ist höchstrichterlich offen, ob Gratiszeitungen rechtlich zulässig sind, und wie sich Gratiszeitungen auf die Pressefreiheit auswirken. Geltend gemacht wird nicht nur, es bestehe die Gefahr, dass redaktionell wohlgefällig für die Inserenten geschrieben und dadurch die Pressefreiheit aufgegeben werde. Eingewandt wird auch:

Da die Presse kostenlos verteilt wer­de, stünden die Leser und die Redak­tionen nicht mehr im Mittelpunkt. Da­durch leide die Qualität und Freiheit der Presse. Als erstes werde an den Re­daktionen gespart, was wiederum die Vielfalt der Presse beeinträchtige.

Darüber hinaus wird befürchtet, dass sich Gratiszeitungen über den Vertrieb negativ auf die Pressevielfalt auswir­ken. Der Deutsche Pressegroßhandel hat erst im vergangenen Herbst in Ba­den-Baden auf seiner Jahrestagung beschwörend beklagt, wie sehr der Vertrieb insgesamt mit Gratiszeitungen geschwächt werde. Der deutsche Pressegroßhandel wendet ein, dass er unter Umständen nicht mehr in der Lage sein werde, in der bisherigen Art und Weise den Einzelhandel zu versorgen. Der deutsche Einzelhandel ist, soweit es hier interessiert, dadurch geprägt, dass der Pressegroßhandel ein Ordersortiment von über 4.000 Ti­teln betreut und der Einzelhandel un­verkaufte Exemplare zurückgeben kann. Die Grossisten versorgen in Deutschland 120.000 Verkaufsstellen. Wenn die Erlöse massiv zurückgehen, kann der Pressegroßhandel diese Pressevielfalt, so rechnet er vor, nicht aufrecht erhalten. Auf der 88. Tagung des Studienkreises für Presserecht und Pressefreiheit am 17. und 18. No­vember 2000 wurde dagegen plädiert, Gratiszeitungen seien kein Problem des Verfassungs- oder Wettbewerbs­rechts, sondern ein rechtspolitisches Thema.

Weitere Probleme

Mit dieser Aufzahlung sind noch längst nicht alle Problemfelder erfasst und innerhalb der Problemfelder sind die Probleme noch vielfältiger als sie in diesem Beitrag dargestellt worden sind. So wurde beispielsweise noch nicht erwähnt, dass Zeitschriften und Zeitungen mit geringer Auflage in der Praxis dadurch stark behindert wer­den, dass sie sich in aller Regel auch in finanziellen Nöten nicht mit starken Verlagen verbinden dürfen. Zusätzlich erschwert wird die Stärkung und Er­haltung dieser Zeitschriften und Zeitun­gen dadurch, dass Begriffe wie "rele­vanter Markt" in der Praxis anachroni­stisch noch weitgehend so angewandt werden wie in den Zeiten vor Einfüh­rung des Privatfernsehens und vor dem Einzug des Internet.

Ergebnis

Die Pressefreiheit ist zusammen mit anderen Kommunikationsfreiheiten schlechthin für eine freiheitlich-demo­kratische Ordnung konstituierend. Die­se Basis wird allgemein anerkannt. In den meisten Ländern steht die Pres­sefreiheit jedoch noch am Anfang ei­nes schwierigen Kampfes. Selbst in den fortgeschrittenen westlichen De­mokratien ist die Pressefreiheit ‑ wenn auch auf anderen Ebenen ‑ nicht stark genug. Es droht sogar, dass die Pres­sefreiheit kontinuierlich geschwächt wird.

In Europa und in Deutschland müsste in der Gesetzgebung nachgebessert werden. So im Bereich der Grund­rechts-Charta der EU, des Pressege­heimnisses, der Fälle mit Auslands­berührung und des Kartellrechts, so­weit es die Meinungsvielfalt über Ge­bühr einschränkt. Selbst wenn alle Be­teiligten, auch die Abgeordneten, uni­sono erklären, es müsse nachgebes­sert werden, wird nur zögerlich und un­vollständig fortgeschritten; das Muster­beispiel bildet die strafprozessuale Beschlagnahme von selbstrecherchier­tem Material. In der Gesetzgebung lie­gen zur Zeit insgesamt sogar neue ein­schränkende Verbote ‑ wie Werbever­bote ‑ näher als Nachbesserungen. Nur verhältnismäßig selten werden die kolli­dierenden Interessen ‑ wie jetzt bei der Novellierung des Bundesdatenschutz­gesetzes ‑ sorgsam ausgeglichen.

56 Jahre nach der Aufhebung des Schriftleitergesetzes und 52 Jahre nach Einführung der verfassungsrechtlichen Garantie der Pressefreiheit wird die Pressefreiheit in wichtigen Berei­chen schwächer gewichtet und ent­sprechend stärker bedrängt als ge­meinhin angenommen wird; sowohl in der Gesetzgebung als auch bei der Anwendung der Normen. Andere ‑ oft konkurrierende ‑ Rechtsgüter haben an Gewicht gewonnen.

So verblasst in der Normanwendung zunehmend die Pressefreiheit gegen­über dem magischen Schlagwort vom Recht auf informationelle Selbstbestim­mung. Soziologisch handelt es sich um einen überschießenden, verzerrenden "negativen Ausstrahlungseffekt". Der Dezisionismus, der Eigenwertungen des Entscheiders zulässt, unterstützt Entscheidungen gegen die Pressefrei­heit. So, wenn abgegrenzt wird, wel­che Bild- und welche Textpublikationen zulässig sind; wenn in Zivilverfahren der Informant nicht preisgegeben wer­den kann und die Gerichte die Presse deshalb verurteilen, sich nicht zu äu­ßern; so wenn der Vertrieb mit wettbe­werbsrechtlichen Generalklauseln ein­geschränkt wird und Abonnenten grundsätzlich nicht angerufen werden dürfen; oder wenn kartellrechtliche Begriffe anachronistisch angewandt werden und selbst notleidende Zeit­schriften mit geringer Auflage unter Umständen nicht von einem anderen Verlag fortgeführt werden dürfen. Kol­lidierende Güter sind von der Presse unfraglich anzuerkennen, insbesonde­re auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und der Verbrau­cherschutz. Aber der Wert der Pressefreiheit darf und muss ‑ offenbar keine Binsenweisheit ‑ eingebracht und mit abgewogen werden. Sinnvolle Mit­telwege lassen sich, so zeigt die Er­fahrung, auch in der Normanwendung finden. Musterbeispiele sind die Urtei­le des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai und 15. Dezember 1999.

Zudem schädigen sich die Medien selbst. Im Fernsehen und im Internet fehlt eine für alle Unternehmen gelten­de ethische Selbstkontrolle, die den Beteiligten einen ethischen Ordnungs­rahmen bietet. Dass in diesen Berei­chen der ethische Ordnungsrahmen fehlt, gefährdet auch den ethischen Ordnungsrahmen der Presse mit viel­fältigen negativen Konsequenzen.

Die technischen Umwälzungen und die weiter anwachsende Pluralität der Ge­sellschaft drohen teilweise zusätzlich, die Pressefreiheit in Deutschland und weltweit zu beeinträchtigen.

Was tun, ist leicht gesagt, aber: "Hart im Raume stoßen sich die Sachen". In den Fällen, in denen die Pressefreiheit zur Zeit verliert, wird bislang nicht wirk­lich mit der Pressefreiheit abgewogen, der Wert der Pressefreiheit ist nicht mehr bewusst genug; oder es wird ‑ wo die Pressefreiheit verliert ‑ im Um­feld kein ethischer Ordnungsrahmen geboten. Diese Lücke ist zu schließen.