Prof. Dr. Robert Schweizer, Sprecher des Deutschen Presserats
In diesem Jahrbuch berichten über die tägliche Arbeit des Deutschen Presserats ‑ wie in den Vorjahren ‑ der Vorsitzende des Beschwerdeausschusses, der Geschäftsführer des Presserats sowie der Referent des Beschwerdeausschusses. Tägliche Arbeit heißt, wie § 1 der Satzung für den Trägerverein des Deutschen Presserats e.V. die Aufgaben des Presserates formuliert, für die Pressefreiheit in der Bundesrepublik Deutschland einzutreten und das Ansehen der deutschen Presse zu wahren" (§ 1 der Satzung für den Trägerverein des Deutschen Presserates e.V.). Dieser Beitrag zur Pressefreiheit im Jahre 2001 versucht, die Aufgaben des Presserates insgesamt aktuell zu überblicken. In einem demokratischen Rechtsstaat, für den die Pressefreiheit schlechthin konstituierend und die Garantie für alle übrigen Freiheitsrechte ist, beschreibt eine solche Gesamtschau auch den Grad der politischen und gesellschaftlichen Freiheit, Diese Grundlage ist allgemein anerkannt.
Das Ansehen der Presse wird im Titel dieses Beitrages aus mehreren Gründen nicht ausdrücklich hervorgehoben: Die Pflicht zur Wahrung des Ansehens der Presse ist der Pressefreiheit immanent, also im Titel: "Pressefreiheit" mit erfasst. Vor allem aber könnte ein Titel wie "Die Pressefreiheit und das Ansehen der Presse" irreführend den Eindruck erwecken, es werde im Wesentlichen nur das Verhältnis des Ansehens der Presse zur Pressefreiheit besprochen und womöglich die Medienfreiheit als achte Plage vorverurteilt. Ein solches Vorurteil ist nur modern und verhilft provozierend zu großer Aufmerksamkeit. So hat das Stadtforum München ohne Fragezeichen und mit zahlenmäßig größtem Erfolg für den 4. Februar 2001 zu einer Veranstaltung "Medienwelt ‑ Die achte Plage" eingeladen. Aber dieses Vorurteil lässt sich nicht halten.
Ausgeklammert bleiben in diesem Beitrag die Themen, die Gegenstand von Tarifverhandlungen sein können. Aktuell interessieren in diesem ausgeklammerten Bereich Probleme wie das Urhebervertragsrecht, die Betriebsverfassung und die Arbeitszeiten. Für diese Themen ist der Deutsche Presserat nicht zuständig.
Teilweise vertreten Gerichte und Fachschriftsteller feinsinnig die Ansicht, die Pressefreiheit unterscheide sich vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung dadurch, dass die Pressefreiheit nicht die Meinungsfreiheit betreffe, sondern nur die Bedeutung der Presse für die freie und öffentliche Meinungsbildung. In der Praxis werden jedoch die Meinungs‑ und die Pressefreiheit so nicht nebeneinander gestellt. Vielmehr umfasst die Pressefreiheit auch die Meinungsfreiheit. Somit ist zu definieren: Das Spezialgrundrecht der Pressefreiheit garantiert das Recht, sich zu informieren und sich ‑ in verkörperter Form ‑ einem individuell unbestimmten Personenkreis mitzuteilen.
Nach dem ‑ bereits zitierten ‑ Wortlaut der Satzung hat der Presserat zwar nur für die Pressefreiheit "in der Bundesrepublik Deutschland" einzutreten. Dennoch entstünde ein falsches Bild, wollte der Presserat die weltweiten Missstände nicht voranstellen. Diese Missstände sind noch längst nicht bewusst genug. Selbst am "Internationalen Tag der Pressefreiheit", der in jedem Jahr am 3. Mai in Erinnerung an die Grundsatzerklärung von Windhoek demokratische Strukturen unterstützen soll, werden die Missstände kaum beachtet. Die Träger des Deutschen Presserates haben damit begonnen, eine Stiftung zu gründen, die dazu beitragen soll, die Missstände weltweit zu bekämpfen. Eine Besonderheit dieser Stiftung wird sein, dass sie von Anfang an mit dem Ziel initiiert ist, schon jetzt über das Internet Missstände publik zu machen und mit Hilfe des Internet in anderen Ländern Arbeitsbedingungen zu schaffen, die für die deutsche Presse selbstverständlich sind.
Betrachtet man im einzelnen die 41 Mitgliedsländer des Europarats, weiß man, wie stark allein schon in Europa durch direkte staatliche Repressalien In die Pressefreiheit eingegriffen wird.
Im September 2000 hat der Europarat in Kooperation mit internationalen Journalistenorganisationen auf einem Kongress die Gefahren für die Unabhängigkeit der Presse durch Inhaftierungen, Einschüchterungen, Repressalien und Gewaltaktionen angeprangert. Die Regierung in Ankara ist bereits mehrfach vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen unzulässiger Eingriffe in die Rechte oppositioneller Zeitungen verurteilt worden.
Ländern wie Jugoslawien und Weißrussland wird die Mitgliedschaft im Europarat unter anderem gerade wegen der negativen Einstellung zur Pressefreiheit verweigert.
Weltweit wird die Presse in 103 Ländern zensiert oder sonst ‑ alltäglich ‑ unterdrückt, obwohl 185 Staaten die UN‑Menschenrechtskonvention vom 10. Dezember 1948 mit dem Recht auf Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit angenommen haben.
In Afrika erscheint nur in drei von 55 afrikanischen Staaten eine freie Presse, wie sie westliche Demokratien kennen: in Südafrika, im Senegal und ‑ bedingt ‑ in Mali. Die Verhältnisse in Mali sind überdies ein Beispiel dafür, dass für eine wirkungsvolle Presse neben der Pressefreiheit auch noch Leser gewonnen werden müssen. In Mali leben 14 Millionen Einwohner. Die Zeitungen erreichen jedoch nur Auflagenzahlen in einer Größenordnung von 10.000 Exemplaren.
In Sambia ‑ ein weiteres typisches Beispiel für die Verhältnisse in Afrika ‑ besitzt der Staat zwei von drei Tageszeitungen. Diese beiden staatlichen Zeitungen verbreiten 90 % der Auflage der sambischen Printmedien. Zudem sind in Afrika die meisten Radiosender und das Fernsehen in staatlicher Hand.
In der arabischen Welt beginnt nur in Marokko die Pressefreiheit zu wachsen.
In Algerien, Syrien, Tunesien, Kuwait und im Irak wird inhaftiert und gefoltert; ‑ bevorzugt mit der Begründung, es müsse die Demokratie gegen extremistische Islam-Bewegungen geschützt werden.
In China hat die Regierung zur Sicherung der ideologischen Oberhoheit der Partei mehr als 200 von 2160 Zeitungen gänzlich verboten. Weitere Zeitungen sind in Parteiorganisationen integriert worden. Zensur und politische Kontrolle von Medien verstehen sich in China von selbst.
In Südostasien kontrollieren vor allem in Birma und Singapur die Regierungen die Presse. 1998 gründeten Journalisten aus Indonesien, Thailand und den Philippinen die "Southeast Asian Press Alliance" unter anderem mit der Klage, die Pressefreiheit werde in ihren Ländern insgesamt sogar noch stärker als durch Regierungen durch scharfen Wettbewerb, Sensationsjournalismus und ein geringes Berufsethos gefährdet. Solche Mängel werden bekanntlich auch in Deutschland beklagt. Darauf ist noch einzugehen. Aufhorchen lässt ebenso international, dass in Lateinamerika die Kämpfer für die Pressefreiheit berichten, am schlimmsten würden nicht Parlament oder Verwaltung die Pressefreiheit beeinträchtigen, sondern die Gerichte. Selbst dieses Thema wird, jedoch auf einer anderen Ebene, ebenfalls für Deutschland diskutiert. Vgl. dazu in diesem Beitrag vor allem die Ausführungen zum Dezisionismus.
Ein Mitglied des Deutschen Presserates, Franziska Hundseder, hat im Juli 2000 Venezuela besucht. Sie hat dort über die Bedeutung der Pressefreiheit in der Demokratie und die Bedeutung der Gewerkschaften für die Pressefreiheit vor Journalistinnen und Journalisten referiert. In Venezuela ist zwar die Pressefreiheit in der neuen Verfassung verankert. Unter Pressefreiheit wird in der Praxis jedoch mehr die "Freiheit" verstanden, das zu schreiben, was den Machthabern passt. Wer sich anders verhält, steht schnell unter Hausarrest.
Zum Iran sind Schlagzeilen bekannt wie: "Schlag gegen die Presse im Iran. Nahezu alle Reformzeitungen verboten. Verleger in Haft". Wer sich in Presseverboten auskennt, kann sich schon im vornhinein denken, wie die Zwangsmaßnahmen begründet worden sind: "Beleidigungen islamischer Heiligtümer" und "Verletzung nationaler Interessen".
In den post-sozialistischen Staaten entwickelte sich die Pressefreiheit unterschiedlich und teilweise verhältnismäßig schwer durchschaubar. Die jüngsten Kämpfe um die Presse- und Medienfreiheit in Russland beim Privatfernsehsender NTW, bei der Tageszeitung Sewodnja und der Wochenzeitung Itagi sind bekannt.
Getötet wurden in der jüngeren Vergangenheit jährlich 50 bis 80 Medienmitarbeiterinnen und -mitarbeiter bei der Ausübung ihres Berufes. Die meisten Journalisten kamen auf dem Balkan, in Russland, in Sierra Leone, in Kolumbien und Mexiko um. In den letzten 15 Jahren sind mehr als 700 Medienschaffende beruflich tödlich verunglückt. Am wenigsten aufgeklärt werden Morde in Kolumbien.
Jahr für Jahr wurden stets 80 bis 100 und mehr Journalistinnen und Journalisten in 18 bis 20 Ländern inhaftiert. Mord, Folterungen, Zensur, Einschüchterungsversuche sind aus vielen Ländern bekannt. Die Dunkelziffer wurde, soweit bekannt, nicht konkretisiert.
Institutionen und Initiativen bemühen sich, die Öffentlichkeit für die Pressefreiheit zu sensibilisieren und die Pressefreiheit für die Politik zu einem zentralen Thema zu machen. Neben Verleger-, Journalisten- und Menschenrechtsorganisationen ‑ wie Amnesty, Reporter sans Frontières, Initiative Aktion für die unabhängige Presse in Afrika, Internationaler Journalistenverband, Komitee zum Schutz von Journalisten, Internationales Forum der Chefredakteure, Weltverband der Zeitungen, Verband Deutscher Zeitschriftenverleger ‑ hat sich die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa um die Pressefreiheit in den 54 Mitgliedsländern der OSZE verdient gemacht.
"Auf das sonst so leuchtend helle Bild von Pressefreiheit in Deutschland ist 1994 ein Schatten gefallen", leitete eine überregionale deutsche Tageszeitung am 10. Januar 1995 einen Artikel über den Jahresbericht 1994 des Internationalen Presseinstituts ein. Dieser Jahresbericht hatte eine Reihe "bedenklicher Vorkommnisse" aufgegriffen, insbesondere sich häufende Redaktionsdurchsuchungen. Wo stehen wir insoweit in Deutschland, das ‑ wie nur wenige Länder ‑ die Pressefreiheit zusammen mit anderen Kommunikationsrechten in seiner Verfassung garantiert?
Die Vertraulichkeitssphäre der Presse gehört auch heute noch an erster Stelle zu den deprimierendsten Problemen des deutschen Pressewesens; ‑ trotz der Diskussionen um die "Tendenz zu mehr Flachsinn im Journalismus", um eine stärkere Personalisierung in der Berichterstattung, die Veränderung des Mainstream, eine zunehmende Medienkonzentration und anderes mehr. Der Deutsche Journalistenverband hat 170 Fälle überprüft, in denen sich die Staatsanwaltschaft Material bei Journalisten beschafft hatte. In keinem Falle war ‑ obwohl vorgeschrieben und grundlegend ‑ der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz thematisiert worden.
Kaum ein Thema ist in Theorie und Praxis für eine ausgewogene gesetzgeberische Lösung so gut vorbereitet wie das Pressegeheimnis, ‑ wenigstens im Teilbereich des Vertrauensschutzes gegenüber strafprozessualen Zwangsmaßnahmen. Verabschiedungsreife Gesetzesvorschläge sind vorformuliert. Diese Vorschläge schützen einerseits die Pressefreiheit noch hinreichend. Andererseits ist belegbar, dass hinter sie nicht zurückgegangen werden darf. Hinter diese verabschiedungsreifen Vorschläge darf deshalb nicht zurückgegangen werden, weil diese Vorschläge gegen die Pressefreiheit festlegen, dass das Pressegeheimnis zurückstehen muss, "wenn die zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten einer Teilnahme oder einer Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei dringend verdächtigt werden". Noch größere Zugeständnisse an die Strafverfolgung lassen sich nicht rechtfertigen. Aber, Gesetz und Praxis sind weit davon entfernt, die entscheidungsreifen, ausgewogenen Vorschläge zu realisieren.
Zwar wurden nun immerhin von der Bundesregierung der "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung" und von der F.D.P. der "Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Pressefreiheit" nach langen Vorlaufzeiten in den Bundestag eingebracht und am 8. März 2001 nach einer ersten Beratung in den Rechtsausschuss und in den Ausschuss für Kultur und Medien überwiesen. Aber diese Entwürfe erreichen eben nicht den erwähnten entscheidungsreifen Stand, der im Sinne der wissenschaftlichen Diskurstheorien bereits erreicht ist. Außerdem hat der Bundesrat schon vorab Bedenken geäußert. Nach der Geschichte der Diskussionen um das Pressegeheimnis ist sogar zu befürchten, dass selbst die von der Bundesregierung befürworteten und erst recht die weitergehenden von der F. D. P. vorgeschlagenen Verbesserungen noch auf sich warten lassen werden.
Die wichtigste Neuerung ist nach beiden Entwürfen, dass das Zeugnisverweigerungsrecht und das Beschlagnahmeverbot auf selbstrecherchiertes Material ausgeweitet werden; allerdings ohne wirklich verlässlich zu schützen. Ohne verlässlichen Schutz ist diese Neuerung deshalb: Sie soll nach dem Entwurf der Bundesregierung nicht gelten, wenn ein Journalist selbst verdächtigt wird, an einer Straftat beteiligt gewesen zu sein oder die Tat decken zu wollen. Ein solcher Verdacht lässt sich unschwer konstruieren und nach den bisherigen Erfahrungen ist so gut wie sicher, dass er fortlaufend vorgegeben werden wird. Außerdem wird es möglich bleiben, weiterhin bei Telefonanlageunternehmen zu ermitteln, mit wem eine Journalistin oder ein Journalist telefoniert hat.
Noch kurz zur erwähnten, deprimierenden Geschichte des Pressegeheimnisses: Es gab in den letzten Jahrzehnten viele Aktivitäten und gute Absichten. Die Jahrbücher des Deutschen Presserates legen beredte Zeugnisse ab. In den vergangenen fünf Jahren haben sich die Verantwortlichen geradezu ununterbrochen bemüht: In Gesprächen des Deutschen Presserates mit den ‑ stets Verständnis bekundenden ‑ Fraktionen des Bundestages; mit positiven Gesetzesentwürfen des Bundesrates und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen; mit Beteuerungen aller Parteien im Bundestag, es gebe "in der Sache keinen Streit, das Ziel zu unterstützen, die Presse besser vor Obergriffen zu schützen"; mit fortdauernden Bemühungen der Verleger- und der Journalistenverbände sowie der Fernsehanstalten bis hin zu einer gemeinsamen Stellungnahme von ARD, BDZV, DJV, Deutscher Presserat, IG Medien, VDZ, VPRT und ZDF vom 14. Februar 2000 zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Die Jahrbücher des Deutschen Presserates spiegeln gerade auch für die vergangenen fünf Jahre die Geschichte der Hoffnungen und der nie ausbleibenden Enttäuschungen wider. Wer über die Macht oder Ohnmacht der Presse reflektiert, muss diese Geschichte einbeziehen.
Die EU-Grundrechtscharta gefährdet die Pressefreiheit. Schon seit Jahren liefen Projekte. Am 26.9.2000 wurde dann von dem beauftragten Gremium (Konvent) ein "Entwurf der Charta der Grundrechte der Europäischen Union" vorgelegt. Der Europäische Rat hat dem Entwurf auf seiner Tagung vom 13. und 14. Oktober 2000 in Biarritz zugestimmt. Auf dem Gipfel von Nizza im Dezember 2000 wurde das Werk verkündet. Die Charta muss aber noch In rechtlich verbindlicher Form verabschiedet werden.
Einerseits bestimmt Art. 11 lediglich:
Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit
(1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.
(2) Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet.
Andererseits werden in der Charta die gegen die Kommunikationsrechte abzuwägenden Rechte letztlich günstiger und zum Teil unnachgiebiger formuliert als die Kommunikationsrechte. So wird für das Recht auf Schutz personenbezogener Daten in Art. 8 der Charta festgelegt:
Schutz personenbezogener Daten
(1) Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten.
(2) Diese Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden. Jede Person hat das Recht, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die Berichtigung der Daten zu erwirken.
(3) Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von einer unabhängigen Stelle überwacht.
Man braucht kein Hellseher zu sein, um vorhersagen zu können, wie gegen das Pressegeheimnis abgewogen werden wird. Art. 8 bestimmt nun einmal konkret und unnachgiebig: Jede Person hat das Recht, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten". Wie aber soll mit der Regelung, dass "die Freiheit der Medien geachtet" wird (Art. 11 Abs. 2), erreicht werden, dass der nach Art. 8 Abs. 2 wortwörtlich zur Auskunft Verpflichtete nicht zumindest mittelbar den Informanten preisgeben muss? Offenkundig ist Gefahr im Verzug.
Nach juristischem Denken wird dann zudem aus Art. 8 und Art. 11 immer wieder negativ gefolgert werden, die Kommunikationsrechte seien im konkreten Fall weniger gewichtig. "Gleichbewertung des Gleichsinnigen" heißt dieser ‑ allgemein anerkannte ‑ Auslegungsgrundsatz bei den Rechtsmethodikern.
Die Landes- und mithin die rechtlichen Grenzen bereiten ein Problem nach dem anderen. Allein für sich kann das einzelne Problem vielleicht hingenommen werden. Aber insgesamt kann man über diese Probleme nicht hinwegsehen. Die Presse muss sich ununterbrochen mit unlösbaren, die Pressefreiheit beeinträchtigenden Aufgaben befassen.
Die Pressegesetze der ausländischen Staaten weichen ‑ selbstverständlich ‑ teilweise vom deutschen Recht ab. Die Rechte der Staaten sind, wie bekannt, nicht identisch. Was in Deutschland rechtmäßig ist, kann im Ausland rechtswidrig sein und umgekehrt. Oft gleicht sich innerhalb eines Rechts im Ergebnis vieles aus, so dass das inländische und das ausländische Recht alles in allem, "unterm Strich", gleich "günstig" oder "ungünstig" sind. Oft erklärt sich eine besonders negative Regelung daraus, dass sie andere positive Regelungen ausgleichen muss und so wieder im Ganzen ein Gleichgewicht schafft. Aber punktuell kann eine bestimmte Publikation in Deutschland eben rechtmäßig, in Frankreich dagegen rechtswidrig sein. Die Internationalrechtler sprechen von einem "Streudelikt" und wenden nach einer "Mosaiktheorie" für jede einzelne Rechtsfrage in jedem Vertriebsland das "Ortsstatut" an.
Die Pressefreiheit wird demnach in Fällen mit Auslandsberührung eingeschränkt, weil Zeitschriften und Zeitungen bei negativ abweichendem ausländischen Recht selbst für deutsche Touristen und für im Ausland lebende deutsche Abonnenten nicht sanktionslos ins Ausland exportiert werden dürfen. Beispielsweise ist das französische Recht zu einer Frage wie der Publikation von Bildern teilweise "strenger" als das deutsche (zu anderen Fragen ist das französische Recht dagegen "großzügiger"). Die französischen Gerichte entscheiden, wenn das französische Recht für die Presse ungünstiger ist, gegen die deutsche Presse und billigen für den nach Frankreich exportierten Teil grundsätzlich auch eine Geldentschädigung zu. Im Besonderen in Frankreich beschaffen sich Anwaltskanzleien systematisch lukrative Arbeit, indem sie Zeitschriften und Zeitungen nach typischen ortsrechtlichen Fehlern durchsuchen und sich dann einen Auftrag verschaffen, wenn sie sich nicht schon im vorhinein einen Blankoauftrag von dem einen oder anderen Prominenten gesichert haben. Alle Versuche, über EU-Recht und den Europäischen Gerichtshof oder über internationalprivatrechtliche Argumente die Rechtsanwendung zu harmonisieren oder sonst praktikabel die Presserechtsprobleme grundlegend zu ordnen, sind bislang gescheitert.
Ausländische Redaktionen leiden nach dieser Mosaiktheorie umgekehrt unter den gleichen Schwierigkeiten in Deutschland. Vor allem die britischen Zeitschriften und Zeitungen sind betroffen. Britischen Journalistinnen und Journalisten die deutsche Rechtsprechung zu Text- und Bildpublikationen über relative Personen der Zeitgeschichte verständlich zu machen, gleicht der Aufgabe, euklidisch die Quadratur des Kreises zu finden.
Die Redaktionen können aber selbstverständlich nicht alle Beiträge nach dem Recht aller Exportländer prüfen, und es lässt sich nicht vertreten, entsprechend individuell für jedes Land gesondert zu drucken. Die Alternative, überhaupt keine Zeitungen und Zeitschriften ins Ausland zu liefern, drängt sich nur juristisch auf. Die Pressefreiheit gerät insoweit zwischen alle Mühlsteine. Verlage, die sich realistisch gesetzestreu verhalten möchten, müssen zumindest die Rechte der Länder einhalten, in denen ihre Zeitschriften systematisch überprüft und angegriffen werden. Das heißt aber: Die Pressefreiheit richtet sich nach der im Einzelfall punktuell unfreiesten ausländischen Regelung zulasten der Informationsinteressen der vielen inländischen Leser; ‑ obwohl unter Umständen nur verhältnismäßig wenige Touristen, Auslandsvertretungen und Landsleute im Ausland erreicht werden.
Wie sieht es überhaupt mit der Harmonisierung aus? Mit welchen Auswirkungen auf die Pressefreiheit?
Die Presseräte in Europa haben am 10. Juni 1999 in London die Alliance of Independent Press Councils of Europe, AIPCE, gegründet. Am 28. und 29. September 2000 trafen sich die europäischen Presseräte in Bonn auf Einladung des Deutschen Presserates zum zweiten Mal. Es gibt auch bilaterale Kontakte.
Gegenwärtig müssen sich die Presseräte in Europa jedoch weitgehend darauf beschränken, sich gegenseitig zu informieren und voneinander zu lernen. Die Pressegesetze und die berufsethischen Grundsätze in Europa weitgehend zu harmonisieren, ist zur Zeit aus mehreren Gründen kein Thema. Es fehlt an Gesetzgebungszuständigkeiten der EU, und die Vorstellungen über die gesetzlichen Rechte und Pflichten der Presse klaffen in Europa noch zu weit auseinander. Was die berufsethischen Grundsätze betrifft, ist zwar vom Wortlaut her durchaus denkbar, die Kodizes zu einem Gemeinschafts-Kodex zu harmonisieren. Aber eine einheitliche Anwendung der Grundsätze ist weitgehend ausgeschlossen. Die Unterschiede sind so groß, dass es wohl auf absehbare Zeit auch nicht realistisch sein wird, wenigstens einen Gemeinschafts-Kodex zu verabschieden (und nur die Anwendung der einzelnen Bestimmungen jedem Presserat zu überlassen). In der Praxis steht vor allem entgegen, dass in Großbritannien auch ethisch weit stärker zugunsten der Pressefreiheit im Spannungsfeld zu Persönlichkeitsrechten abgewogen wird als auf dem Kontinent, und dass zwischen den Rechtskreisen gegenwärtig kein Kompromiss gefunden werden kann. Auf der erwähnten Bonner Tagung der Presseräte in Europa am 28. und 29. September 2000 zeichnete sich zum Beispiel ab, dass sich die Presseräte zu Text- und Bildpublikationen über die Opfer spektakulärer Unglücksfälle gegenwärtig nicht einigen könnten.
Der von der Globalisierung ausgehende Zwang zu einer Vereinheitlichung bricht nur vereinzelt Bahnen. In den U.S.A. gibt es keinen Presserat, der dem Deutschen Presserat ähnelt. In Einrichtungen wie dem "National News Council" kontrolliert sich die Presse nicht selbst. Ein Wissenschaftler aus den Vereinigten Staaten analysiert zur Zeit, warum es in den U.S.A. keinen ‑ den europäischen Presseräten vergleichbaren ‑ Presserat gibt, und ob die U.S.A. von den deutschen Erfahrungen profitieren könnten. Zu einer globalen Harmonisierung der berufsethischen Grundsätze ist es demnach weit. Punktuelle Ansätze zeigen sich jedoch. So wird in Deutschland zur Zeit diskutiert, ob die journalistischen Verhaltensgrundsätze zu Insiderinformationen entsprechend den von vielen U.S.-Unternehmen geschaffenen Regelungen anders gefasst werden sollen. Der Gastbeitrag in diesem Jahrbuch äußert sich zu diesem Thema detailliert. Würde der deutsche Kodex an die U.S.-Regelungen angepasst werden, dann würden die Journalistinnen und Journalisten stärker eingeschränkt. Sie dürften etwa grundsätzlich keine Aktien von Unternehmen halten, über die sie berichten. Die Problematik ist jedoch vielfältig. Die Regelungen der U.S.-Unternehmen müssen unter Umständen auch in einem speziell U.S.-arbeitsrechtlichen Gesamtzusammenhang gesehen werden.
Ergänzend muss das Kartellrecht an dieser Stelle erstmals als weiteres Problem erwähnt werden. Im Kartellrecht behindert die deutsche Gesetzgebung teilweise anachronistisch die Pressefreiheit im internationalen Wettbewerb. im Ausland können sich ‑ anders als im Inland ‑ Verbindungen entwickeln, mit denen die inländischen Verlage auch im Inland gegen ausländische Verlage nicht mehr konkurrieren können.
Weitaus größer als zum Pressegeheimnis war bislang das Verständnis des deutschen Gesetzgebers für die Pressefreiheit bei der Umsetzung der EG-Datenschutzrichtlinie. Dieses bessere oder schlechtere Verständnis des Gesetzgebers kann auch von wenigen Personen oder einem einzelnen Meinungsführer abhängen.
Am 9. Mai 2000 hat Bundesinnenminister Otto Schily auf einer Pressekonferenz gemeinsam mit dem Deutschen Presserat bekannt gegeben, dass bei der Umsetzung der EG-Datenschutzrichtlinie für den redaktionellen Datenschutz eine angemessene Lösung gefunden worden ist. Als Lösung gegen ein vorstellbares grundsätzliches gesetzliches Verbot der Datenverarbeitung mit Erlaubnisvorbehalt, gegen einen betrieblichen Datenschutzbeauftragten, gegen gesetzliche Auskunfts- und Schadensersatzpflichten mit einer umgekehrten Beweislast wurde die Selbstkontrolle eingesetzt. Zu ihr führt die Begründung des Gesetzesentwurfes aus:
"Der Deutsche Presserat wird im Wege der Selbstregulierung ergänzende Regelungen treffen. Inhalte dieser Selbstregulierung werden insbesondere die Erarbeitung von ‑ nicht notwendigerweise auf den Anwendungsbereich der §§ 5 und 9 beschränkten ‑ Verhaltensregeln und Empfehlungen, eine regelmäßige Berichterstattung zum redaktionellen Datenschutz sowie die Schaffung eines Beschwerdeverfahrens sein, das Betroffenen die Möglichkeit einer presseinternen Überprüfung beim Umgang mit personenbezogenen Daten eröffnet."
Eine Kommission des Deutschen Presserates hat mittlerweile diesen Antrag umgesetzt. Ober Einzelheiten und den Stand des Verfahrens unterrichtet der Bericht des Geschäftsführers in diesem Jahrbuch.
Ehe zur Rechtsprechung übergegangen werden kann, interessieren noch gesetzliche Werbeverbote. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 5.Oktober 2000 zur Nichtigkeit der "Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen" hat vorerst die Presse und ihre Freiheit vor einer unter Umständen verheerenden Gefahr gerettet (und die einzelnen Staaten vor einer Kompetenz-Kompetenz der EU).
Hätte der Europäische Gerichtshof die Richtlinie gegen die Tabakwerbung für rechtmäßig erklärt, hätte der Presse ein Domino-Effekt gedroht. Unter Domino-Effekt bei den Werbeverboten wird verstanden, dass ein für einen Bereich erlassenes Werbeverbot weitere Werbeverbote nach sich zieht: Werbeverbote gegen Alkohol, Automobile, Kindernahrung, bestimmtes Kinderspielzeug, Pharmazeutika usw. Deshalb ist bei den Prozessen gegen die Tabakwerbeverbots-Richtlinie von einem "Stellvertreterkrieg" gesprochen worden. Allein die Werbeverbote, die nach dem Dominoeffekt unmittelbar für Deutschland drohten, hätten bewirkt, dass der Pressejährlich 2,5 Milliarden DM brutto Werbegelder verloren gegangen wären und folglich so etwas wie 550.000 Seiten redaktioneller Text nicht mehr hätten finanziert werden können. Es versteht sich von selbst, dass die Pressefreiheit im heutigen Sinne schon weit vor diesen 550.000 Seiten am Ende wäre. Zu befürchten ist bei Werbeverboten zudem, dass sie nicht nur auf dem Wege über die Finanzen, sondern direkt in die redaktionelle Tätigkeit eingreifen. Die Redaktionen müssten sich nämlich vermutlich immer stärker der Argumentation erwehren, dass redaktionell nicht gefördert werden dürfe, was der Werbung aus Gründen des Allgemeinwohls verboten sei. Soweit ersichtlich, wird diese ‑ für die Pressefreiheit genauso große ‑ Gefahr bis jetzt noch gar nicht ausgesprochen.
Die Gefahr einer Einschränkung der Pressefreiheit durch Werbeverbote ist jedoch nicht gebannt. Wie groß die Gefahr einer Einschränkung der Pressefreiheit durch Werbeverbote ist, beweisen die neuesten Meldungen vom März 2001: Die Europäische Kommission will noch im ersten Halbjahr 2001 die Arbeiten für ein neugefasstes Zigarettenwerbeverbot abschließen.
Die mit dem Tabakwerbeverbot gewonnenen Erfahrungen verdeutlichen, dass die Presse künftig noch früher berechtigte Interessen in die Gesetzgebungsverfahren einbringen muss. Solche berechtigte Interessen müssen offenbar zur Pressefreiheit erst noch stärker bewusst gemacht werden als sonst bei Interessenabwägungen: Es geht ‑ selbstverständlich ‑ nicht darum, ob Werbeadressaten geschädigt werden dürfen. Unfraglich geht die Gesundheit vor. Nur: Die Meinung, dass ein Werbeverbot den Konsum drossele, ist bislang ein Vorurteil geblieben; ‑ auch was den Konsum durch Jugendliche betrifft. Erwiesen ist andererseits, dass die Verbraucher mit Werbung besser informiert werden können, und dass Werbung Strukturen verändern kann; so kann sie den Marktanteil der weniger schädlichen Produkte erheblich ausweiten. Zu den berechtigten Interessen gehört weiter, dass die Pressefreiheit in Deutschland nicht durch sachfremde Interessen anderer Staaten eingeschränkt wird; so durch die nationalen Interessen des einen oder anderen europäischen Staates, die gegenwärtige Vormachtstellung staatseigener Marken zu erhalten.
Beim Festakt anlässlich des vierzigjährigen Bestehens des Deutschen Presserates am 20. November 1996 und im Jahrbuch 1996 des Deutschen Presserates wurde angeregt, die Grundlagen der Pressefreiheit stärker wissenschaftlich zu erforschen und die wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Rechtsprechung einzubeziehen. Diese Anregung wurde zu einem beachtlichen Teil umgesetzt. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem weitreichenden Grundsatzurteil vom 15. Dezember 1999, zu dem ihm ein kommunikationswissenschaftliches Gutachten vorgelegt worden war, wichtige kommunikationswissenschaftliche Erkenntnisse rechtlich umgesetzt. Die Diskussion zur Tragweite dieses Urteils ist noch längst nicht abgeschlossen. Im Ergebnis hat das Bundesverfassungsgericht ein Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahre 1995 bestätigt. Nach diesem Urteil vom 15. Dezember 1999 ist von der Rechtsprechung grundsätzlich zu beachten: Prominente stehen für bestimmte Wertvorstellungen und Lebenshaltungen; sie haben eine Leitbild- und Kontrastfunktion. Sie vermitteln Realitätsbilder und Gesprächsgegenstände. Deshalb besteht auch im juristischen Sinne "ein berechtigtes Interesse daran zu erfahren, ob Prominente ihr funktionales und persönliches Verhalten überzeugend in Übereinstimmung bringen"; so ausdrücklich das Bundesverfassungsgericht.
Das Bundesverfassungsgericht hat dementsprechend auch sog. Paparazzifotos akzeptiert, soweit diese Fotos in der Öffentlichkeit aufgenommen worden sind und die erwähnten kommunikationswissenschaftlichen Kriterien erfüllten. Das Bundesverfassungsgericht hat darüber hinaus auch noch im Sinne der Presse die schon erwähnte "Hahn auf- und Hahn zu-Mentalität" abgewiesen. Diese Mentalität stand schon am 16. September 1998 im Mittelpunkt einer Tagung des Deutschen Presserates, über die das Jahrbuch 1998 in zwei Beiträgen berichtet. In dieser Veranstaltung schilderten die drei eingeladenen Chefredakteure Fälle, in denen Prominente nach Belieben der Presse entweder Einblicke gewährten oder sie ausschlossen. Das Bundesverfassungsgericht urteilte nun so, dass Prominente nicht grundsätzlich über eine Einwilligung Publikationen steuern und eine "Hofberichterstattung" erzwingen können. Insbesondere dürfen Prominente, wenn sie sich mit einer Privatangelegenheit in die Öffentlichkeit begeben haben, nicht verbieten, dass die Presse künftig weiter über diese Privatangelegenheit berichtet.
Soweit das Urteil vom 15.12.1999 aufgrund des Artikels 6 des Grundgesetzes gegen die Presse entschieden hat, wurde im Ergebnis nichts verändert. Auf den Schutz der Familie gestützt, hat das Urteil auch prominenten Eltern einen eigenen Anspruch auf Unterlassung eingeräumt, wenn sie sich ihren Kindern hinwenden. Aber auch schon zuvor stand fest, dass die Kinder nicht mit ihren prominenten Eltern abgebildet werden dürfen. Neu ist somit nur, dass die Eltern den Unterlassungsanspruch nicht nur als gesetzliche Vertreter, sondern auch aus eigenem Recht erfolgreich geltend machen können. Die Tendenz dieser Entscheidung vom 15.12.1999 wird durch einen Beschluss der 1. Kammer des Ersten BVerfG-Senats vom 4.4.2000 und durch einen Kammer-Beschluss vom 25.11.1999 bestätigt.
In einem weiteren Grundsatz-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht die gegen die Presse gerichteten Urteile der Pressekammer des Landgerichts und des Pressesenats des Oberlandesgerichts eines Gerichtsbezirks aufgehoben. Diese Entscheidungen billigten gegen einen Verlag einen urheberrechtlichen Auskunftsanspruch zu, ohne gegen die Interessen der Presse auch nur abzuwägen. Im konkreten Fall hätte bedacht werden müssen, dass dem Auskunftsanspruch das Pressegeheimnis entgegenstehen könnte. Das Bundesverfassungsgericht hielt in seinem Urteil vom 28. Mai 1999 der Pressekammer und dem Pressesenat vor, dass zu der gebotenen Abwägung mit den Belangen der Pressefreiheit "die angegriffenen Entscheidungen jegliche Ausführungen vermissen lassen". Das heißt, für hoch angesehene und verantwortungsbewusste, sogar auf Presserecht spezialisierte Richter erster und zweiter Instanz blieb das Pressegeheimnis gänzlich bedeutungslos. Die Gerichte ließen "jegliche Ausführungen vermissen". Müsste man von einer Presse-Kammer und einem Presse-Senat nicht selbstverständlich das Gegenteil erwarten? Dieses eine Mal konnte das Bundesverfassungsgericht abhelfen. Das Bundesverfassungsgerichts-Gesetz ist aber darauf angelegt, dass das Bundesverfassungsgericht nicht regelmäßig angerufen werden soll und kann. Um die Pressefreiheit steht es deshalb dann besonders schlecht, wenn in erster und zweiter Instanz Richter zuständig sind, welche die Pressefreiheit im Einzelfall nur verhältnismäßig gering schätzen oder sie womöglich überhaupt negieren. Diese Überlegungen betreffen das noch weithin unbekannte Problem des Dezisionismus.
Auf dem Journalistinnen- und Journalistentag der IG Medien am 27. November 1999 wurde unter anderem ausführlich diskutiert, ob der gesellschaftliche Auftrag der Medien dezisionistisch durch die Rechtsprechung tiefgreifend eingeschränkt wird. Dieses Problem des Dezisionismus ist in seinen Auswirkungen noch unbekannt. Worum geht es?
Der hoch anerkannte Rechtswissenschaftler Peter Lerche hat schon 1990 konstatiert: Wer vorhersehen will, wie die Gerichte zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsrechten im Einzelfall abwägen, wird "in die Zwangsrolle eines Hellsehers versetzt, eine verzweifelte Rolle". Diese unglückliche Situation ergibt sich ‑ was erst noch besser erkannt und bekannt gemacht werden muss ‑ aus einem methodischen Problem:
Der einzelne Richter entscheidet in zweifelhaften Fällen "subjektiv-dezisionistisch"; das heißt, er entscheidet ‑ so verantwortungsbewusst wie möglich ‑ nach seinem eigenen Rechtsgefühl. Es lässt sich jedoch nicht negieren, dass Richter ganz unterschiedliche Rechtsgefühle gegenüber der Presse hegen. So ist es möglich, dass in einem Gerichtsbezirk ein kleiner Kreis gleichgesinnter Richter stark gegen die Pressefreiheit entscheidet. Eine solche Tatsache wird unter den im Presserecht spezialisierten Rechtsanwälten schnell bekannt. Der "fliegende Gerichtsstand" erlaubt, dass jeder Anwalt bei dem Gericht klagt, das ihm konveniert. So wird die Rechtsprechung gegen die Presse kanalisiert. Es wird stets bei dem Gericht gegen die Presse geklagt, das im Zweifel gegen die Presse abwägt.
Als Hoffnung bleiben der Presse nur der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht. Diese Gerichte dürfen jedoch nur in einem engen Rahmen eingreifen und außerdem entscheiden auch diese höchsten Gerichte in Zweifelsfällen genauso subjektiv-dezisionistisch.
Kritisiert werden mit diesen Hinweisen auf den Dezisionismus nicht die Gerichte. Die Gerichte arbeiten bestmöglich. Zu kritisieren ist eher die Rechtswissenschaft, die den Gerichten noch keine besseren Methoden zur Verfügung stellt. Die Wissenschaft versagt insoweit weltweit.
Sind die Entscheidungen der Pressekammer und des Pressesenats, zu denen die Rechtsprechung gegenwärtig kanalisiert wird, wirklich für die Pressefreiheit bedenklich? Hier ein typisches Beispiel für Bildpublikationen:
Diese Gerichte nehmen an, dass ein bestimmter, weithin bekannter Adeliger keine absolute Person der Zeitgeschichte ist, und dass Fotos von ihm nur publiziert werden dürfen, wenn sie ihn speziell bei einem Ereignis der Zeitgeschichte zeigen. Das heißt nach dieser Rechtsprechung: Wenn über diesen Adeligen berichtet wird, darf dieser Bericht nicht mit einem Portrait-Foto illustriert werden, das ihn bei einem anderen Anlass zeigt. Dies gilt auch dann, wenn das Porträt aus einer bereits früher rechtmäßig publizierten Abbildung stammt, die bei einem offiziellen Anlass mit Zustimmung des Adeligen aufgenommen worden ist und ihn vorteilhaft wiedergibt.
Und ein Textbeispiel aus den Urteilen dieser Pressekammer des Landgerichtes und dieses Pressesenats des Oberlandesgerichtes:
Die Tochter eines allgemein bekannten, öffentlichkeits-interessierten und besonders reichen Industriellen heiratete. Aus Anlass der Hochzeit dieser Milliardenerbin schrieb eine aktuelle Illustrierte über das Paar:
"Sie begegneten sich schon vor acht Jahren, kamen aber erst '96 bei der Dauerparty 'Hamburger Nächte' ins Turteln."
Weiter hieß es in diesem Bericht über die Braut:
"Sie fährt einen Audi von der Stange, hasst Bodyguards, liebt ihren Labrador, Dirndl ... ."
Beide Texte sollen rechtswidrig sein. Die Begründung:
"Auch der Gesichtspunkt, dass es sich bei der Eheschließung der Klägerin um einen Vorgang handelt, an dem durchaus ein erhebliches Interesse der Öffentlichkeit bestehen dürfte, rechtfertigt den über die Vorstellung der Ehepartner und die Darstellung von im Zusammenhang mit der (bevorstehenden) Hochzeit stehenden Einzelheiten weit hinausgehenden Eingriff in die Privatsphäre der Klägerin nicht."
Wie immer muss abgewogen werden zwischen den Persönlichkeitsrechten einerseits und der Pressefreiheit sowie dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit andererseits. Die Gerichte dieses Bezirks wägen nun eben so ab, wie es hier dargestellt wurde.
Soweit bei Veranstaltungen und in Gesprächen festgestellt werden konnte, werden diese Urteile nahezu allgemein abgelehnt. Es werden jedoch eben nur die Gerichte dieser Stadt angerufen und der Bundesgerichtshof sowie das Bundesverfassungsgericht gelangen, wie erwähnt, wegen enger Zuständigkeitsregelungen in der Sache zu keinen Entscheidungen. So kann sich dann grundlegend die Abwägungsgrenze gravierend zu Lasten der Pressefreiheit verschieben. Der gesellschaftliche Auftrag der Medien wird unmerklich eingeschränkt.
Es handelt sich bei diesen Urteilen um die oben zur Harmonisierung erwähnte Rechtsprechung, die britischen Redakteuren unverständlich bleibt, wenn sie in Deutschland verklagt werden.
Im Gesetzgebungsteil wurde bereits geschildert, wie schwierig es ist, das grundsätzlich anerkannte Pressegeheimnis gesetzlich in die Tat umzusetzen. Im Rechtsanwendungsteil wurde dann über das Beispiel berichtet, in dem Pressegerichte erster und zweiter Instanz eine Abwägung mit dem
Pressegeheimnis nicht einmal für erwähnenswert hielten. Die Urteile beider Instanzen ließen ‑ so das Bundesverfassungsgericht ‑ zu einem "das Geheimhaltungsbedürfnis der Presse überwiegenden Interesse an der begehrten Auskunft jegliche Ausführungen vermissen".
Die Pressefreiheit wird auch sonst tagtäglich dadurch eingeschränkt, dass das Pressegeheimnis verhältnismäßig gering eingeschätzt wird. Die Verlage und die Journalisten verlieren Zivilprozesse, weil sie nach ihren Berufsgrundsätzen ihre Informanten nicht als Zeugen benennen dürfen und die Gerichte im Rahmen der freien Beweiswürdigung die anonymisierenden Zeugenaussagen der Journalisten oft nicht genügen lassen. Anders ausgedrückt: Das aus der Pressefreiheit folgende Pressegeheimnis gewinnt im Rahmen der freien Beweiswürdigung nur bedingt Bedeutung. Die Redaktionen verlieren Zivilprozesse deshalb, weil sie ethisch verpflichtet sind, Informanten nicht preiszugeben. Diese Zivilprozesse führen insbesondere auch dazu, dass die Redaktionen aus Beweisgründen verurteilt werden, wahre Äußerungen zu unterlassen (obwohl die Redaktionen definitiv wissen, dass diese Äußerungen zutreffen).
Wenn dagegen ‑ außerhalb der Presse ‑ staatliche Interessen unmittelbar, direkt und klar ersichtlich sind, wird der Geheimnisschutz hoch geschätzt und stark gewichtet. Ein Musterbeispiel bildet der Geheimnisschutz für Informanten der Finanzbehörden. Es gelingt den bei Finanzämtern Denunzierten gerichtlich fast nie, den im Datenschutzrecht verankerten Anspruch auf Nennung eines Informanten durchzusetzen. So hat der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz den Geheimnisschutz sogar für den Fall anerkannt, dass sich die an das Finanzamt übermittelten Daten als falsch erwiesen, der Betroffene also nachweisbar zu Unrecht denunziert und verfolgt wurde.
Die ungleichgewichtige Rechtsprechung wird sogar noch einmal gesteigert: Wenn im Finanzgerichtsbereich dagegen speziell das Pressegeheimnis in Frage steht, wird wieder eher gegen das Pressegeheimnis abgewogen und erneut direkt für unmittelbar ersichtliche Staatsinteressen entschieden. So hat der Bundesfinanzhof am 15. Januar 1998 entschieden, dass sich Journalisten in der Regel nicht auf das Pressegeheimnis berufen dürfen, wenn nach § 4 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes zu Bewirtungskosten der Anlass und die Teilnehmer angegeben werden müssen.
"Wo früher der Staat die Pressefreiheit bedrohte, tun das jetzt die Medien selbst", wurde am 29.12.1999 in einer Wochenzeitung konstatiert. Je nachhaltiger ethische Grenzen überschritten werden und je mehr die Presse an Ansehen verliert, desto stärker wird die Pressefreiheit gefährdet. In das Ansehen der Printmedien können heute mittelbar auch andere Medien eingreifen, insbesondere das Fernsehen und das Internet. Kolportiert wird der Satz: "Wir brauchen im Netz keine Schleusenwächter, weil es keine Schleusen gibt".
Die Verhältnisse sind komplex. Noch Anfang des Jahres 2000 wurde den Medien ‑ vor allem wegen der Spendenenthüllungen ‑ applaudiert, und die Medien waren mit sich selbst zufrieden. Seit dem Jahresende 2000 werden die Medien von vielen in einer schwerwiegenden Krise gesehen mit den Schlagworten: Medienskandal von Sebnitz; Ellbogen-Journalismus; Verlust von Anstand und Abstand; Kreisverkehr künstlicher Neuigkeiten; alle Distanz journalistischer Arbeit wird mit dem Bildschirm aufgehoben; die Medien als Abbild der Gesellschaft; wenn die Politik zur Show und der Journalismus überflüssig wird; keine Unterscheidung zwischen Nachricht und Kommentar; manchem erscheinen die Medien schon als erste Gewalt.
Auf der Tagung des Studienkreises für Presserecht und Pressefreiheit hat im Mai 2000 ein in Deutschland und Europa besonders angesehener und einflussreicher Referent gar sinngemäß die Ansicht vertreten, die Medien hätten das datenschutzrechtliche Medienprivileg verwirkt. Der Grund: Der Fernseh- und Internetalltag. Zur Praxis des Fernsehens führte der Referent selbstverständlich Sendungen wie Big Brother an. Für die Praxis des Internet berief er sich insbesondere und vehement auf die Vermengung von Werbung und Redaktion.
Hauptproblem ist in Deutschland, dass die ethische Selbstkontrolle im Fernsehen und im Internet kaum existiert. Für das Fernsehen ist der Deutsche Presserat generell unzuständig. Für Beschwerden über digitale journalistische Beiträge ist der Deutsche Presserat bislang nur zuständig, wenn sie "zeitungs- oder zeitschriftenidentisch" sind. Die für das Fernsehen und das Internet zuständigen Stellen sind, soweit es hier interessiert, nicht wirkungsvoll; nur auf den Jugendschutz wird stärker geachtet.
Die Gefahr, dass sich die Meinung des Referenten nach und nach im Ergebnis durchsetzen wird, besteht durchaus. Die Werte und Erfahrungen verschieben sich. Diese Verschiebungen wirken sich selbstverständlich vielfältig auf die Presse aus, zumal die Presse mit Hintergrundinformationen und -analysen sowie mit Leitbildern an die anderen Medien anschließen und auf sie eingehen muss. Die Presse kann auch in den Ansehensschwund hineingezogen werden. Dieser Schwund wird sich wiederum über den beschriebenen Dezisionismus auswirken; ‑ nicht nur in der Rechtsanwendung, sondern auch schon in der Gesetzgebung. Oder aus anderer Sicht: Wenn sich die Medien in einem großen Bereich nicht selbst kontrollieren, versteht sich von selbst, dass auch der andere, zusammenhängende Bereich mitgezogen wird. Einrichtungen wie die Landesmedienanstalten wollen und können die ethische Selbstkontrolle nicht ersetzen. Selbst wenn allerorten Verstöße gegen die verfassungsrechtlich geschützte Menschenwürde beklagt werden, also Verfassungsverstöße, greift diese Kontrolle nur teilweise. Hätte sich von Anfang an ein Selbstkontrollorgan ethisch mit dem Reality-Fernsehen befasst und Auswüchse gerügt, wäre das Problem eingedämmt worden, oder es hätte entschieden werden müssen, die Selbstkontrolle zu sprengen. Welcher Sender aber hätte es auf sich genommen, die Selbstkontrolle zu sprengen? Viel wahrscheinlicher ist, dass den Sendern nur der ethische Ordnungsrahmen und eine gemeinsame Instanz fehlen. Wer hofft, die Verhältnisse könnten sich bessern, täuscht sich offenbar. Der Verband privater Rundfunk und Telekommunikation hat erst jetzt im Februar 2001 erneut abgelehnt, freiwillige Verhaltensgrundsätze für Reality Soaps und Psycho-Formate zu entwickeln. Der VPRT möchte, dass jeder Sender eigen- und alleinverantwortlich bleibt. Am 9. April 2001 eskalierte die Auseinandersetzung noch auf einem Treffen von Vertretern der Landesmedienanstalten und der Fernsehsender. Der Geschäftsführer eines Privatsenders erklärte scharf und uneingeschränkt: "Für uns Fernsehmacher gilt weiterhin die Entscheidung des Zuschauers. Das ist nun mal, gottlob, so in einer Demokratie."
Häufig wird die Presse wettbewerblich unnötig behindert. Ein Beispiel:
Darf der Verlag Abonnenten anrufen; ‑ so, wenn die Abonnenten nach einer Kündigung davon überzeugt werden sollen, doch weiterhin die Zeitschrift oder die Zeitung zu beziehen? Dürfen die Abonnenten mit Telefaxen und per e-Mail angeschrieben werden? Diese Fragen münden in die Frage, ob überhaupt ‑ nicht nur von der Presse ‑ Personen und Unternehmen direkt per Telefon, e-Mail und Telefax kontaktiert werden dürfen. In Deutschland ist die Rechtsprechung rigoros. Sie geht über die Rechtsprechung der meisten ausländischen Gerichte hinaus und unterscheidet nicht zwischen der Presse und den anderen Professionen. Nach der deutschen Rechtsprechung verstößt es generell gegen die guten Sitten im Sinne des § 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, wenn Haushalte angerufen werden und der Betroffene nicht zuvor in eine solche Vertriebsmaßnahme eindeutig eingewilligt hat. Aus der Tatsache, dass jemand Abonnent ist, darf nach der deutschen Rechtsprechung nicht rückgeschlossen werden, dass er mit einem Anruf einverstanden ist. Es reicht nicht einmal aus, dass der Abonnent dem Verlag ganz allgemein seine Telefonnummer angegeben hat und vor der Unterschrift vorgedruckt worden ist, der Abonnent erkläre sich mit einem Anruf einverstanden.
Auch auf diesem Gebiet versuchen der Deutsche Presserat und die Verbände in Gesprächen mit dem Gesetzgeber, dass die Interessen anders ausgeglichen werden. Sie streben die Lösung "Liste Robinson" an. Diese Lösung besagt, dass grundsätzlich nur derjenige nicht angerufen werden darf, der sich in eine Liste hat eintragen lassen.
Noch immer ist höchstrichterlich offen, ob Gratiszeitungen rechtlich zulässig sind, und wie sich Gratiszeitungen auf die Pressefreiheit auswirken. Geltend gemacht wird nicht nur, es bestehe die Gefahr, dass redaktionell wohlgefällig für die Inserenten geschrieben und dadurch die Pressefreiheit aufgegeben werde. Eingewandt wird auch:
Da die Presse kostenlos verteilt werde, stünden die Leser und die Redaktionen nicht mehr im Mittelpunkt. Dadurch leide die Qualität und Freiheit der Presse. Als erstes werde an den Redaktionen gespart, was wiederum die Vielfalt der Presse beeinträchtige.
Darüber hinaus wird befürchtet, dass sich Gratiszeitungen über den Vertrieb negativ auf die Pressevielfalt auswirken. Der Deutsche Pressegroßhandel hat erst im vergangenen Herbst in Baden-Baden auf seiner Jahrestagung beschwörend beklagt, wie sehr der Vertrieb insgesamt mit Gratiszeitungen geschwächt werde. Der deutsche Pressegroßhandel wendet ein, dass er unter Umständen nicht mehr in der Lage sein werde, in der bisherigen Art und Weise den Einzelhandel zu versorgen. Der deutsche Einzelhandel ist, soweit es hier interessiert, dadurch geprägt, dass der Pressegroßhandel ein Ordersortiment von über 4.000 Titeln betreut und der Einzelhandel unverkaufte Exemplare zurückgeben kann. Die Grossisten versorgen in Deutschland 120.000 Verkaufsstellen. Wenn die Erlöse massiv zurückgehen, kann der Pressegroßhandel diese Pressevielfalt, so rechnet er vor, nicht aufrecht erhalten. Auf der 88. Tagung des Studienkreises für Presserecht und Pressefreiheit am 17. und 18. November 2000 wurde dagegen plädiert, Gratiszeitungen seien kein Problem des Verfassungs- oder Wettbewerbsrechts, sondern ein rechtspolitisches Thema.
Mit dieser Aufzahlung sind noch längst nicht alle Problemfelder erfasst und innerhalb der Problemfelder sind die Probleme noch vielfältiger als sie in diesem Beitrag dargestellt worden sind. So wurde beispielsweise noch nicht erwähnt, dass Zeitschriften und Zeitungen mit geringer Auflage in der Praxis dadurch stark behindert werden, dass sie sich in aller Regel auch in finanziellen Nöten nicht mit starken Verlagen verbinden dürfen. Zusätzlich erschwert wird die Stärkung und Erhaltung dieser Zeitschriften und Zeitungen dadurch, dass Begriffe wie "relevanter Markt" in der Praxis anachronistisch noch weitgehend so angewandt werden wie in den Zeiten vor Einführung des Privatfernsehens und vor dem Einzug des Internet.
Die Pressefreiheit ist zusammen mit anderen Kommunikationsfreiheiten schlechthin für eine freiheitlich-demokratische Ordnung konstituierend. Diese Basis wird allgemein anerkannt. In den meisten Ländern steht die Pressefreiheit jedoch noch am Anfang eines schwierigen Kampfes. Selbst in den fortgeschrittenen westlichen Demokratien ist die Pressefreiheit ‑ wenn auch auf anderen Ebenen ‑ nicht stark genug. Es droht sogar, dass die Pressefreiheit kontinuierlich geschwächt wird.
In Europa und in Deutschland müsste in der Gesetzgebung nachgebessert werden. So im Bereich der Grundrechts-Charta der EU, des Pressegeheimnisses, der Fälle mit Auslandsberührung und des Kartellrechts, soweit es die Meinungsvielfalt über Gebühr einschränkt. Selbst wenn alle Beteiligten, auch die Abgeordneten, unisono erklären, es müsse nachgebessert werden, wird nur zögerlich und unvollständig fortgeschritten; das Musterbeispiel bildet die strafprozessuale Beschlagnahme von selbstrecherchiertem Material. In der Gesetzgebung liegen zur Zeit insgesamt sogar neue einschränkende Verbote ‑ wie Werbeverbote ‑ näher als Nachbesserungen. Nur verhältnismäßig selten werden die kollidierenden Interessen ‑ wie jetzt bei der Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes ‑ sorgsam ausgeglichen.
56 Jahre nach der Aufhebung des Schriftleitergesetzes und 52 Jahre nach Einführung der verfassungsrechtlichen Garantie der Pressefreiheit wird die Pressefreiheit in wichtigen Bereichen schwächer gewichtet und entsprechend stärker bedrängt als gemeinhin angenommen wird; sowohl in der Gesetzgebung als auch bei der Anwendung der Normen. Andere ‑ oft konkurrierende ‑ Rechtsgüter haben an Gewicht gewonnen.
So verblasst in der Normanwendung zunehmend die Pressefreiheit gegenüber dem magischen Schlagwort vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Soziologisch handelt es sich um einen überschießenden, verzerrenden "negativen Ausstrahlungseffekt". Der Dezisionismus, der Eigenwertungen des Entscheiders zulässt, unterstützt Entscheidungen gegen die Pressefreiheit. So, wenn abgegrenzt wird, welche Bild- und welche Textpublikationen zulässig sind; wenn in Zivilverfahren der Informant nicht preisgegeben werden kann und die Gerichte die Presse deshalb verurteilen, sich nicht zu äußern; so wenn der Vertrieb mit wettbewerbsrechtlichen Generalklauseln eingeschränkt wird und Abonnenten grundsätzlich nicht angerufen werden dürfen; oder wenn kartellrechtliche Begriffe anachronistisch angewandt werden und selbst notleidende Zeitschriften mit geringer Auflage unter Umständen nicht von einem anderen Verlag fortgeführt werden dürfen. Kollidierende Güter sind von der Presse unfraglich anzuerkennen, insbesondere auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und der Verbraucherschutz. Aber der Wert der Pressefreiheit darf und muss ‑ offenbar keine Binsenweisheit ‑ eingebracht und mit abgewogen werden. Sinnvolle Mittelwege lassen sich, so zeigt die Erfahrung, auch in der Normanwendung finden. Musterbeispiele sind die Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai und 15. Dezember 1999.
Zudem schädigen sich die Medien selbst. Im Fernsehen und im Internet fehlt eine für alle Unternehmen geltende ethische Selbstkontrolle, die den Beteiligten einen ethischen Ordnungsrahmen bietet. Dass in diesen Bereichen der ethische Ordnungsrahmen fehlt, gefährdet auch den ethischen Ordnungsrahmen der Presse mit vielfältigen negativen Konsequenzen.
Die technischen Umwälzungen und die weiter anwachsende Pluralität der Gesellschaft drohen teilweise zusätzlich, die Pressefreiheit in Deutschland und weltweit zu beeinträchtigen.
Was tun, ist leicht gesagt, aber: "Hart im Raume stoßen sich die Sachen". In den Fällen, in denen die Pressefreiheit zur Zeit verliert, wird bislang nicht wirklich mit der Pressefreiheit abgewogen, der Wert der Pressefreiheit ist nicht mehr bewusst genug; oder es wird ‑ wo die Pressefreiheit verliert ‑ im Umfeld kein ethischer Ordnungsrahmen geboten. Diese Lücke ist zu schließen.