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Internetarchive unterliegen einer rückwärtigen Zensur

 

Verhandlungsericht 30.03.2007

Urteil als pdf-Darei

Berufungsurteil 7 U 53/07 vom 09.10.2007

 

Landgericht Hamburg

URTEIL

Im Namen des Volkes

Geschäfts-Nr.
324 O 468/06
Verkündet am:
25.05.2007

In der Sache
K.H. Sch.
                                                                                            - Kläger -

Prozessbevollmächtigter                      Rechtsanwäle Schwenn pp. (Dr. Sven Krüger)

                                                         gegen

TAZ Verlags- und Vertriebs GmbH,
vertreten durch ihren Geschäftsführer
Kochstraße 18, 10969 Berlin
                                                                                          - Beklagte -

Prozessbevollmächtigte                           Rechtsanwälte Eisenberg pp.
                                                             Görtlitzer Straße 74, 10997 Berlin


erkennt das Landgericht Hamburg, Zivilkammer 24
auf die mündliche Verhandlung vom 30.03..2007 durch

den Vorsitzenden Richter am Landgericht Buske

den Richter am Landgericht Zink

den Richter am Landgericht Dr. Korte

für Recht:

I.      Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000,-, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre),

zu unterlassen,

den Kläger als „Negerkalle" zu bezeichnen.

II.     Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen,

III.    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 17.000,- vorläufig vollstreckbar;

und beschließt:
 
         Der Streitwert wird festgesetzt auf € 15.000,-.
 

Tatbestand:
 
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Unterlassung der Bezeichnung seiner Person mit dem Spitznamen „Negerkalle".
 
Der Kläger ist in Hamburg weiten Kreisen bekannt. Die Beklagte verlegt das Presseorgan „die tageszeitung" und ist Inhaberin der Intemet-Domain „www.taz.de".
 
Unter dem 29.5.2006 ließ der Kläger ein Schreiben an die Beklagte versenden, in dem er darauf hinwies, dass er in einem unter dieser Domain abrufbaren Artikel „Negerkalle“ genannt werde, sowie darum bat, dass in etwaiger zukünftiger Berichterstattung berücksichtigt werde, dass er die Unterlassung der Verwendung dieses Pseudonyms verlange (An! K 4).
 
Unter der Internet-Domain „www.taz.de" waren jedenfalls bis zum 9.6.2006 drei Arti­kel abrufbar, die in den Jahren 2002 und 2003 in der „tageszeitung" veröffentlicht


worden waren. In diesen Artikeln wird der Kläger als „Negerkalte" bezeichnet (Anl K 2, AnlKonv K 5). Am 29.3.2007 fand der Kläger dort zwei weitere Artikel vom 10.1.2001 und vom 29.12,2006 auf, in denen er mit dieser Bezeichnung bzw. der Wendung „Neger Kalte Sch." belegt wurde (AnlKonv K 43). Alle genannten Artikel waren in der Weise in das Intemetangebot der Beklagten eingestellt, dass Nutzer sie sich auf Abfrage kostenpflichtig herunterladen konnten. Der Artikel vom 12.12.2006 mit der Überschrift „Ist der Ruf erst ruiniert...", der sich mit dein vorlie­genden Verfahren und dem vorangegangenen Verfügungsverfahren befasst, war zudem am 29.03.2007 über das Intemetangebot der Beklagten auch kostenfrei abruf­bar (Anl K 44).
 
Nach erfolgloser Abmahnung vom 08.6.2006 (Anl K 6) hat der Kläger am 16.06.2006 eine einstweilige Verfügung der Kammer erwirkt, mit der es der Beklagten verboten 'wurde, ihn als „Negerkalle" zu bezeichnen (Az. 324 O 395/06); die Beklagte hat dem Kläger Frist zur Erhebung der vorliegenden Hauptsacheklage setzen lassen.
 
Der Kläger trägt zur Begründung u.a. vor, dass die rassistisch-diskriminierende Be­zeichnung „Negerkalle" eine sein Persönlichkeitsrecht verletzende Schmähung sei, der Begriff „Neger" sei zudem eine Formalbeleidigung. Außerdem sei der Tatbestand der Namensbestreitung erfüllt.
 

Der Kläger beantragt.

es der Beklagten bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwider­handlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben wenden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000,-, Ordnungs­haft insgesamt höchstens zwei Jahre),

zu verbieten,

ihn als „Negerkalle" zu bezeichnen.

Die Beklagte beantragt

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, dass sie von dem vom Kläger als Anlage K 4 vorgelegten Schreiben vom 29.5.2006 (Anl K 4 = KE1) nicht gewusst habe. Erstmals mit dem Schreiben vom 08.6.2006 sei zudem die Entfernung des „Alias-Namens" des Klägers auch aus dem Archivgut verlangt worden. Der Kläger habe sich früher selber um­fangreich als „Negerkalle" öffentlich darstellen lassen; die Beklagte verweist in die­sem Zusammenhang zunächst auf zwei Veröffentlichungen in den Zeitschriften „Stern" und „Spiegel" aus dem Jahr 1997 (Anl KE 2 und KE 3).Die Beklagte trägt u.a. vor, dass ihr im Jahre 2002 nicht bekannt gewesen sei, dass der Kläger 2006 keine Neigungen mehr haben würde, sich in Archiven so bezeichnen zu lassen. Außerdem bestehe keine Pflicht zur ständigen Überprüfung des Bestandes eines Pres-se-Archivs; die Beklagte verweist u.a. hierzu auf verschiedene Entscheidungen von Obergerichten. Etwaige Ansprüche des Klägers seien zudem verjährt; im Bereithal­ten in einem Archiv liege keine erneute Verbreitung. Sodann verweist die Beklagte auf eine Vielzahl von Veröffentlichungen, in denen der Kläger mit der streitgegen­ständlichen Bezeichnung belegt worden war bzw. in denen berichtet wird, dass der Kläger von anderen Personen so bezeichnet wird. Daneben trägt die Beklagte eine Reihe von Veröffentlichungen bzw. öffentlichen Auftritten vor, in denen der Kläger selbst in irgendeiner Weise in Beziehung zu der inkriminierten Bezeichnung getreten ist bzw. gesetzt wurde.
 
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Akte gereichten Schrift­sätze nebst Anlagen verwiesen.
 
Entscheidungsgründe:

I.
Die zulässige Klage ist begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlas-sungsanspruch auf der Grundlage der §§ 823 BGB, 1004 BGB analog zu, denn die Bezeichnung als „Negerkalle" verletzt den Kläger bei bestehender Wiederholungsge­fahr rechtswidrig in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht

1.         Die Bezeichnung des Klägers als „Negerkalle" ist abwertend und damit ansehensmindernd, so dass in deren Verwendung in Bezug auf den Kläger ein Eingriff irr sein allgemeines Persönlichkeitsrecht liegt Dieser Spitzname reduziert den Kläger zum einen auf sein äußeres Erscheinungsbild. Zum anderen wird die hierbei verwendete Bezeichnung „Neger" mittlerweile weithin als abwertend empfunden und verwendet (vgl. BVerwG NJW 2002, 980f 986); hierdurch wird der Kläger nach einem an rassistischen Kategorien orientierten Weltbild eingeordnet; es wird das „Anderssein" betont und damit eine Ausgrenzung vorgenommen. Dies wird auch von der Beklagten nicht in Abrede genommen.

2.         Diese herabsetzende Bezeichnung hat die Beklagte in Bezug auf den Kläger verwendet; dies erfolgte zudem öffentlich. Unstreitig hat die Beklagte die in Rede stehenden Artikel, in denen der Kläger als "Negerkalle" bzw. „Neger Kalle Sch." bezeichnet wird, in ihrem Online-Archiv in der Weise zum Abruf vorgehalten, dass Nutzer diese kostenpflichtig herunterladen konnten. Bei einer derartigen Archivierung handelt es gerade nicht um ein lediglich internes Archiv der Beklagten, denn diese Artikel waren für jedermann über das Internet öffentlich zugänglich; die Entgeltpflicht steht dem nicht entgegen. Hinzu kommt, dass der Artikel vom 29.12.2006 (Anl K 44) unstreitig jedenfalls am 29.3.2007 unentgeltlich abrufbar war.
 
Wegen dieser Form der Verbreitung greift im übrigen auch der Hinweis der Beklag­ten auf den Zeitablauf seit der erstmaligen Veröffentlichung der Artikel nicht, insbe­sondere kann hierdurch schon deshalb keine Verjährung eingetreten sein, weil die Verletzung durch die streitgegenständlichen Veröffentlichungen ständig aktualisiert wurde, indem diese jederzeit abrufbar waren.

3.         Für das vorliegende Verfahren hat zu gelten, dass diese Verwendung gegen den Willen des Klägers erfolgte. Der Entscheidung kann nicht zugrunde gelegt werden, dass der Kläger sich selbst öffentlich als "Negerkalle" bezeichnet oder In die Verwendung dieser Bezeichnung - ausdrücklich oder konkludent - eingewilligt hätte, weil die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hierzu nicht hinreichend substantiiert vorgetragen hat. Die zahlreichen von der Beklagten vorgelegten und vorgetragenen Veröffentlichungen belegen nicht, dass der Kläger selbst die streitgegenständliche Bezeichnung in Bezug auf seine Person verwendet hat- Eine aus­drücklich erklärte generelle Einwilligung behauptet auch die Beklagte nicht, aus dem Sach- und Streitstand ergibt sich aber auch keine konkludente Einwilligung- Veröf­fentlichungen, in denen der Kläger so bezeichnet wird, sind hierzu schon prinzipiell ebenso wenig geeignet wie Berichte, in denen berichtet wird, dass andere Personen den Kläger so bezeichnen. Der Kläger hat zwar Insbesondere angesichts der anwaltlichen Versicherung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Termin vom 30.3.2007 nicht substantiiert bestritten, dass es derartige Veröffentlichungen über viele Jahre in großer Zahl gegeben hat. Auch ist es nicht vorstellbar, dass er von ei­ner derartigen Vielzahl von Veröffentlichungen nichts bemerkt hat. Aus einer Ver­wendung des Begriffs "Negerkalle" durch Dritte folgt aber nicht, dass der Kläger dies seinerseits getan hätte oder auch nur damit einverstanden war, dass dies geschah. Aber auch aus denjenigen Veröffentlichungen - insbesondere Interviews - in denen der Kläger die Bezeichnung "Negerkalfe" zugeschrieben wurde, folgt aus der Sicht des Rezipienten nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit, dass der Kläger hiermit generell seine Einwilligung in die Verwendung dieser Bezeichnung erklären wollte; dies um so mehr, als der Kläger wenigstens hinsichtlich einiger der von der Beklag­ten in diesem Zusammenhang genannten Interviews erklärt hat, dass er während der Interviews so nicht angesprochen worden sei. Allerdings hat die Beklagte auf ver­schiedene Anlässe hingewiesen, bei denen der Kläger tatsächlich in Bezug zu der inkriminterten Bezeichnung getreten ist. So wurde er unstreitig bei einem Auftritt in einer Talkshow des NDR im Jahre 1989 oder 1990 als "Negerkalle" vorgestellt Ein vom Kläger verfasster Artikel aus der Zeitung „Welt am Sonntag" vom 1.4.2001 war mit dem redaktionellen Zusatz „Karl-Heinz Sch., 48, ist als 'Negerkalle' eine bekannte Kiezgröße" versehen worden (Anlagen KE). In einem Interview mit der Zeit­schrift „Stern" vom März 1997 wurde der Kläger zudem ausdrücklich zu seinem Ver­hältnis zu der Bezeichnung "Negerkalle" angesprochen und nahm hierzu Stellung, erzählte in diesem Zusammenhang sogar einen „Negerwitz" (Anl KE 2). In der Zeit­schrift „Der Spiegel" vom 2.5.1996 wurde unstreitig in einer vom Kläger erwirkten Gegendarstellung im Rahmen der Wiedergabe der dort angegriffenen Erstmitteilung die Bezeichnung "Negerkalle" wiederholt. Auch aus diesen Sachverhalten folgt indes nicht, dass die Beklagte - oder irgendein anderer Rezipient - davon ausgehen konn­te, dass der Kläger in die Verwendung dieser Bezeichnung stillschweigend habe einwilligen wollen, sondern lediglich, dass er dieser nicht entgegen treten wollte. In der bloßen widerspruchslosen Hinnahme dieser, Bezeichnung liegt jedoch nicht der eindeutige Erklärungsinhalt, dass der Kläger mit deren Verwendung einverstanden war. Im genannten „Stem"-lnterview zeigt zudem schon die Fragestellung, dass man sich des herabsetzenden Charakters dieser Bezeichnung sehr wohl bewusst war („Schlagen Sie zu, wenn Sie jemand Neger-Kalte nennt?“); auch die Antwort des Klägers hierauf negiert dies keineswegs, sondern lässt sich eher als eine ironische Kaschierung oder Bagatellisierung einer in der Tat als unwillkommen empfundenen Bezeichnung verstehen („Ach was, Ich gehe zur Maniküre. Ich will doch nicht meine Finger ruinieren. Ich habe so zarte Hände, daß ich schon beim Koffertragen auf dem Flughafen Blasen an den Händen bekomme.").

4.         Die Verwendung der streitgegenständlichen Bezeichnung war auch nicht ge­rechtfertigt, insbesondere hat die Beklagte nicht in Wahrnehmung berechtigter Inte­ressen gehandelt.

a.         Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg auf den Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung berufen. Allerdings konnte die Beklagte angesichts der genannten zahlreichen Veröffentlichungen, in denen der Kläger als "Negerkalle" be­zeichnet wurde oder sogar in Beziehung zu deren Verwendung getreten ist oder ge­stellt wurde, ohne sich dagegen zu verwahren, zunächst ohne weiteres davon aus­gehen, dass der Kläger gegen die Verwendung der angegriffenen Bezeichnung keine Einwände habe. Eine mutmaßliche Einwilligung greift als Rechtfertigungsgrund ein, wenn für die verbale oder bildliche Darstellung die Zustimmung des Betroffenen nicht eingeholt werden konnte - was hier nicht der Fall war - oder wenn die Einholung zwar möglich gewesen wäre, aber ohne weiteres davon ausgegangen werden konn­te, das der Betroffene hierauf keinen Wert legt (vgl. Wenzel / Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5.Aufl., Rz.96, unter Bezugnahme auf HansOLG NJW 1960,1482).
 
Auch wenn man dies im vorliegenden Fall grundsätzlich für einschlägig halten mag, steht einer Rechtfertigung hier jedoch entgegen, dass die Beklagte spätestens seit   dem Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 29.5.2006 (Ani K 4) nicht mehr glauben konnte, dass der Kläger nichts gegen die Verwendung dieser Bezeichnung habe; in diesem Schreiben hat der Kläger ausdrücklich mitteilen lassen, dass er bei seinem richtigen Namen genannt werden möchte und dass man die Ver­wendung des diskriminierenden Pseudonyms unterlassen möge. Zwar hat die Be­klagte behauptet, von diesem Schreiben nichts" gewusst zu halben, dieses Bestreiten ist jedoch unbeachtlich, weil es im direkten Widerspruch zu der in ihrer eigenen Veröffentlichung vom 29.12.2006 £An! K 44) getroffenen Aussage steht, dass die „taz" Ende Mai 2006 eben dieser Brief erreicht habe.

Hinzu kommt, dass die Beklagte spätestens seit der förmlichen Abmahnung vom 8.6.2006 und der Einleitung der Gerichtsverfahren keinen Zweifel mehr haben konnte, dass der Kläger die Verwendung der streitgegenständlichen Bezeichnung nicht mehr hinnehmen will. Gleichwohl waren unstreitig noch im März 2007 wenigstens zwei Artikel über das Internetangebot der Beklagten abrufbar, in denen der Kläger mit der angegriffenen Bezeichnung belegt wird:
 
In der Veröffentlichung „Risiko teilnehmender Beobachtung", die ursprünglich am 10.1.2001 erfolgt war, wird der Kläger zwar nicht als "Negerkalle", sondern als „Neger Kalle Sch." bezeichnet (AnlKonv K 43), die abweichende Schreibweise ändert jedoch nichts daran, dass dies im Kern die gleiche Bezeichnung darstellt. Wie oben ausgeführt, teilt die Kammer nicht die Auffassung der Beklagten, dass im Bereithalten von Inhalten zum Abruf in einem sog. „Online-Archiv" keine Verbreitung liege.
 
Aber auch die Veröffentlichung vom 29.12.2006 (Anl K 44) erfolgte rechtswidrig und nach Kenntnis der Beklagten vom entgegenstehenden Willen des Klägers. Zwar berichtete die Beklagte hierin über das vorliegende Verfahren und dessen Vorgeschichte, dies erfolgte aber nicht in zulässiger Weise. Fraglich erscheint bereits, ob sich auch ein Presseorgan darauf berufen kann, in Wahrnehmung berechtigter Interessen über ein gerichtliches Verbot - der Beklagten ist die Verwendung des Begriffs "Negertolle" in Bezug auf den Kläger weiterhin durch die einstweilige Verfügung vom16.6.2006 untersagt - berichten zu dürfen, das gegen dieses Presseorgan selbst ergangen ist, wenn hierdurch die das Verbot begründende Persönlichkeitsrechtsverletzung wiederholt wird. Denn es erscheint nicht gerechtfertigt, dass der Verletzer aus seinem rechtswidrigen. Verhalten zu Lasten des Betroffenen den Vorteil ziehen können soll, gerade das wegen dieser Verletzung ergangene Verbot zum Anlass einer erneuten identischen Persönlichkeitsrechtsverletzung nehmen zu dürfen. Anderenfalls könnte ein Verletzer das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen noch während der Auseinandersetzung über die - ja gegebene - Persönlichkeitsrechtsverletzung wiederholen und vertiefen und unter Umständen -«etwa im Rahmen einer retrospektiven Berichterstattung – sogar noch über das Verfahren hinaus fortsetzen. Diese Frage kann aber dahinstehen, denn jedenfalls wäre auch dann, wenn man der Ansicht der Beklagten grundsätzlich folgen wollte, bei Verboten und gerichtlichen Auseinandersetzungen wegen schmähender Bezeichnungen allenfalls eine solche Berichterstattung zulässig, die unmissverständlich deutlich macht, dass die unzulässige Schmä­hung nicht wiederholt werden soll. Nichts anderes ergibt sich aus der von der Beklag­ten angeführten Rechtsprechung: In den von der Beklagten zitierten Fällen war es um Berichterstattung über untersagte Tatsachenbehauptungen gegangen. In derarti­gen Fällen kann indes eine Berichterstattung» die deutlich macht, dass eben dies nicht mehr behauptet werden dürfe und solle, sogar einen entlastenden, nämlich richtig stellenden Effekt für den Betroffenen haben. Denn wenn dem Leser mitgeteilt wird, dass man eine bestimmte Behauptung nicht mehr aufstellen dürfe, kann dies so verstanden werden, dass die Behauptung unzutreffend gewesen sei. Anders liegt der Fall indes, wenn es wie hier um die Untersagung schmähender Bezeichnungen geht, denn mit jeder Mitteilung, dass eine Schmähung verboten sei, wird diese jedenfalls insoweit erneut vorgenommen, als der herabsetzende Begriff dem Leser ins Ge­dächtnis gerufen wird, auch wenn deutlich gemacht wird, dass man diese Bezeich­nung nicht mehr verwenden dürfe. Es kann aber gleichwohl dahinstehen, ob selbst eine schlichte Dokumentation eines verhängten Verbotes oder einer laufenden Aus­einandersetzung über eine schmähende Bezeichnung deshalb prinzipiell unzulässig ist, denn die Beklagte hat im genannten Bericht in der „taz" vom 29,12.2006 nicht nur den Streitstand dokumentiert und ihre Position zum Ausdruck gebracht, sondern hierbei erkennen lassen, dass sie das Begehren des Klägers und das bereits ergan­gene Verbot nicht alleine deshalb für unberechtigt hatte, weil sie die Ansicht der Kammer zur Verbreitung von Inhalten In sog. „Onllne-Archiven" als unzutreffend an­sieht. Vielmehr spricht sie dem Kläger auch ab, dass es ihm tatsächlich darum gehe, eine von ihm als abwertend und rassistisch empfundene Bezeichnung nicht mehr hinzunehmen, sondern bezweifelt seine Motive („…Sch.s Sinneswandel ist einigermaßen frappierend ... Vielleicht sind es aber auch ganz pragmatische, um nicht zu sagen; finanzielle Gründe, die Sch.s Selbstironie schwinden ließen,"). Hierdurch wird dem Leser zumindest signalisiert, dass man es für durchaus zweifel­haft halten könne, ob gerade der Kläger sich überhaupt berechtigterweise darauf berufen könne, dass die Bezeichnung "Negerkalle“ einen - auch von der Beklagten nicht verneinten - erheblich herabsetzenden Charakter hat; mit anderen Worten: der Leser kann dies so verstehen, dass die Beklagte mit dem genannten Artikel zum Ausdruck bringen will, dass sie meine, den Kläger (eigentlich) weiterhin mit der schmähenden Bezeichnung belegen zu dürfen. Jedenfalls  eine derartige Form  der Berichterstattung  über eine anhängige Auseinandersetzung über eine schmähende Bezeichnung muss der Kläger indes nach den dargelegten Kriterien nicht hinnehmen.

b.         Die Verwendung der unzulässigen streitgegenständlichen Bezeichnung wäre zudem auch dann nicht gerechtfertigt, wenn man untersteift, dass die Beklagte diese lediglich über ihr Online-Archiv verbreitet hätte; was - wie soeben ausgeführt - zumindest hinsichtlich des Artikels vom 29.12.2006 nicht der Fall war, der zu einem Zeitpunkt veröffentlicht wurde, als die Beklagte keinesfalls mehr von einer mutmaßli­chen Einwilligung des Klägers ausgehen durfte. Denn die Kammer folgt der von der Beklagten angeführten Rechtsprechung zur Privilegierung jedenfalls nicht, soweit es um so genannte „Online-Archive" im Internet geht.

aa.       Es erscheint schon als zweifelhaft, ob es sich bei dem Bereich des Internetauftritts der Beklagten, in dem sich jedenfalls die meisten der beanstandeten Veröf­fentlichungen befanden, um ein „Archiv" handelt. Denn für den Intemetnutzer handelt es sich bei diesem Bereich letztlich um nichts anderes als einen der Bereiche, in de­nen Meldungen aufzufinden sind; der Unterschied zu den Meldungen anderer Berei­che ist lediglich der, dass es sich unter den hier vorgehaltenen Meldungen um solche älteren Datums handelt. Weshalb aber das schlichte Alter einer Meldung als solches ein taugliches Kriterium sein soll, um das Verbreiten der einen Meldung gegenüber dem einer anderen zu privilegieren, ist nicht einzusehen.! Gerade bei der Verwen­dung von schmähenden Spitznamen ist die Herabsetzung des Betroffenen zudem nicht weniger einschneidend, wenn dem Leser durch die Einordnung des Beitrags vermittelt wird, dass es sich um eine ältere Berichterstattung handelt, denn eine Schmähung ist nicht aktualitätsgebunden. Aber auch aus grundsätzlichen Erwägungen heraus erscheint der Archivgedanke nicht als tragfähig, um die Verbreitung von Inhalten über das Internet zu privilegieren:

bb.       Auf ein Archivprivileg, das analog dem des § 53"Abs. 2 Nr. 2 UmG gestaltet wäre, kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen. Insoweit kann es für die Abwägung der Interessen zwischen der von der Berichterstattung betroffenen Person und dem Verbreiter der Berichterstattung nicht darauf ankommen, ob letzterer der Inha­ber eines ausschließlichen Nutzungsrechtes an den betreffenden Artikeln im Sinne des Urhebergesetzes ist. Gegen eine analoge Anwendung der urheberrechtlichen Archivregelung spricht zudem, dass für eine solche Privilegierung hier bereits deshalb kein Raum besteht, weil ein Zugriff auf das Archiv der Beklagten jedermann möglich ist. Die Regelung in § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG, die den „Archivar" von Ansprü­chen des Urhebers freistellt, wenn zur Aufnahme in sein Archiv fremde Werkstücke vervielfältigt werden, findet nicht für jedes Archiv Anwendung. Nach § 53 Abs. 5 UrhG ist das Archivprivileg insbesondere auf solche Datenbanken beschränkt, die nicht mit elektronischen Mitteln zugänglich sind. Diese Ausnahrnevorschrift kommt bereits dann nicht zum Tragen, wenn das Archiv auch nur von einer Mehrzahl von Untemehmensangehörigen genutzt werden kann (BGH, Urt. v. 10.12.1998, GRUR 1999, S. 325 ff., 327 m.w.N.). Erst recht findet sie keine Anwendung, wenn außenstehenden Dritten Zugriff auf das Archiv gewährt wird (BGH, Urt, v. 16.1.1997, GRUR 1997, S. 459 ff., 463 - CB-Infodatenbank I). Das hat seinen Grund darin, dass eine Multiplikatorfunktion mit der bezweckten Beschränkung auf bloße Bestandssi­cherung nicht zu vereinbaren ist, weshalb auch eine Ausdehnung des Anwendungs­bereiches des § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG nicht angängig ist (vgl. BGH, Urt. v. 10,12. 1998, GRUR 1999, S. 325 ff., 327 m.w.N. - elektronische Pressearchive).

Diese für das Urheberrecht entwickelten Grundsätze sind es, die gerade dafür spre­chen, dass es ein „Archlvprivileg" für in das Internet eingestellte, ehemals aktuelle Meldungen nicht geben kann, sondern dass ein Medienuntemehmen, das sein Archiv - insbesondere durch Gewährung des Zugangs über das Internet - auch für dritte Nutzer zugänglich macht, dafür Sorge zu tragen hat, dass Beiträge, deren Verbreitung nicht oder nicht mehr zulässig ist, gelöscht oder so archiviert werden, dass ihre weitere Verbreitung ausgeschlossen Ist. Denn der technische Fortschritt, der die Speicherung und Zugänglichmachung von Daten in immer weiterem Umfang zulässt, darf nicht dazu führen, dass Persönlichkeitsrechtsverletzungen eher hinzunehmen sind (BGH, Urt, v. 16. 9.1966, NJW 1966, S. 2353 ff., 2354; BVerfG, Beschl. v, 9.10. 2002, NJW 2002, S. 3619 ff., 3621; s. auch BVerfG, Urt. v. 15.12. 1983, BVerfGE 65, S. 1 ff. * NJW 1984, S. 419 ff,, 421 f. - Volkszählung).

cc.       Im Übrigen wird auch aus verschiedenen gesetzlichen Regelungen über die Verwaltung von Archivgut deutlich, dass nach gesetzgeberischer Wertung zeitliche Schutzfristen für archivierte Beiträge zu beachten sind, die den Schutz der Persönlichkeitsrechte der von dem Archivgut betroffenen Personen dienen, und dass solche Schutzfristen geradezu zum Wesen des Archivrechts gehören. So darf etwa nach § 5 Abs. 2 BArchG Archivgut, das sich auf natürliche Personen bezieht, erst 30 Jahre nach dem Tode der betroffenen Person durch Dritte benutzt werden; ist das Todesjahr nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand festzustellen, endet die Schutzfrist erst 110 Jahre nach der Geburt des Betroffenen, Entsprechende Regelungen enthal­ten auch die Archivgesetze der Länder (s. z,B, § 5 des Hamburgischen Archivgesetzes v. 21.1. 1991). Mit derartigen Schutzfristen wird ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen der von den Inhalten des zu archivierenden Schrift- oder Bildguts betroffenen Personen und der Notwendigkeit, kulturell bedeutsames Mediengut dauerhaft zu erhalten und der Öffentlichkeit zur Nutzung zur Verfügung zu stellen, geschaffen. Schon zuvor darf Archivgut genutzt werden, ggf. sind aber die von ihm betroffenen Personen unkenntlich zu machen (s, z.B. auch § 12 Abs. 4 und 5 Stasi-Unterlägen-Gesetz, § 30 BOSG). Auch dies zeigt, dass der Gesetzgeber es als durchaus zumutbar ansieht, wenn ggf, eine nur unter Anonymisierung (§ 3 Abs. 6 BDSG) der betreffenden Person erfolgende Verbreitung von Informationen zugelassen wird.

Einen allgemeinen Rechtsgedanken, wonach die Verbreitung archivierter Materialien gegenüber der von aktuellen Meldungen in weiterem Umfange generell zulässig wä­re, solange die von den Inhalten des Materials betroffenen Personen noch am Leben sind, gibt es damit nicht.

c.            Dahinstehen kann im vorliegenden Fall auch, ob Besonderheiten dann beste­hen können, wenn eine ursprünglich rechtmäßige Veröffentlichung erst durch verän­derte Umstände rechtswidrig wird, so etwa durch schlichten Zeitablauf, der zu einem Überwiegen des Anonymitätsinteresses über das - wegen schwindender Aktualität - zunehmend weniger gewichtige Berichterstattungsinteresse führen kann; demnach stellt sich hier auch nicht das Problem, wieweit einem Archiv-Betreibende ständige . Überwachung seines Archivs etwa auf sich verändernde Rechtmäßigkeiten zuzumuten ist. Denn hier besteht die Besonderheit, dass die Beklagte spätestens durch den Zugang des Schreibens vom 29.5.2006 (An) K 4) und der Abmahnung vom 8,6.2006 (Anl K 6) darüber informiert war, dass das Verbreiten von Berichten, in denen die Bezeichnung "Negerkalie" verwendet wird,  vom Kläger nicht (mehr) hingenommen wird; wie oben ausgeführt, war die Verbreitung ursprünglich lediglich aus dem damit entfallenen Rechtfertigungsgrund der mutmaßlichen Einwilligung zulässig gewesen. Gleichwohl hat die Beklagte - wie ebenfalls oben ausgeführt - nicht alle Berichte aus ihrem Angebot entfernt, die diese Bezeichnung in identischer bzw. in abgewandelter, aber im Kern gleicher Schreibweise enthalten.

d.         Schließlich ist auch ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Führung gerade des streitgegenständlichen Archivs weder dargelegt noch ersichtlich. Wie ausgeführt, erfüllt die hier praktizierte schlichte öffentliche Bereithaltung älterer Veröffentlichungen bereits nicht die spezifischen Funktionen eines Archivs, das an dem grundsätzlich berechtigten Interesse ausgerichtet ist, publizistische Erzeugnisse „dem wissenschaftlich und kulturell Interessierten möglichst geschlossen zugänglich zu machen und künftigen Generationen einen umfassenden Eindruck vom geistigen Schaffen früherer Epochen zu vermitteln" (BVerfG, B. v. 14. 7.1981, NJW 1982, S. 633 ff., 634 - zu Pflichtexemplaren).

5.          Die den Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs.1 Satz2 BGB analog auslösenden Wiederholungsgefahr ist aufgrund der erfolgten Rechtsverletzung indiziert (Vfll. BGH NJW 1994, S.1281 ff., 1283). Die Beklagte hat keine Umstände angeführt, die dieser Annahme entgegenstünden.

II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1 ZPO. Die Festsetzung des Streitwertes erfolgt gemäß § 3 ZPO und orientiert sich an dem Streiiwertgefüge der Kammer unter Berücksichtigung des im Verfügungsverfahren festgesetzten Wertes.
 
Die diversen nachgelassenen und nicht nachgelassenen Schriftsätze der Parteien geben nach allem keinen Anlass zur Wiedereröffnung.
 
Buske                                                Zink                                 Dr. Korte

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Dieses Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 18.11.07
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