Buskeismus


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Verhandlungsbericht  02.11.2007

Landgericht Hamburg

URTEIL

Im Namen des Volkes

Geschäfts-Nr.
324 O 622/07
Verkündet am:
30.11.2007
In der Sache

M.L.
 

 
  - Antragsteller -
 
Prozessbevollmächtigte Rechtsanwälte Stopp pp.
Arnsburger Straße 5, 61184 Karben
Gz.: 142/06,
 
gegen
 
GoNamic GmbH  
  - Antragsgegnerin -
 
Prozessbevollmächtigte RA Hertin pp.
RA Christlieb Klages
   

erkennt das Landgericht Hamburg, Zivilkammer 24, auf die mündliche Verhandlung vom 02.11.2007 durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht Buske die Richterin am Landgericht Käfer,
den Richter Dr. Link

für Recht:

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 EUR; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) zu unterlassen, über den Kläger im Zusammenhang mit dem Mord an W. unter voller Nennung des Nachnamens zu berichten.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.

3. Das Urteil ist hinsichtlich Ziffer 1. des Tenors gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 7.500,-- und hinsichtlich Ziffer 2. des Tenors gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar;

und beschließt: Der Streitwert wird auf EUR 7.500,-- festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch.

Der Kläger wurde im Jahr 1992 wegen Mordes an dem Geschäftsmann W.S. festgenommen und im Jahr 1993 wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Über den Fall, der für erhebliches Aufsehen sorgte, berichteten die Medien bundesweit ausführlich.

Die Beklagte ist für die Online-Seite www. S…de verantwortlich. Auf dieser Seite verbreitet sie den aus der Anlage K1 ersichtlichen Artikel, der sich mit dem vergeblichen Versuch des Klägers, das gegen ihn geführte Strafverfahren wiederaufnehmen zu lassen befasst. Wegen der Einzelheiten der Berichterstattung wird auf die Anlage K1 verwiesen.

Der Kläger ist der Ansicht, dass eine ihn identifizierbar machende Berichterstattung unter Nennung seines Nachnamens über die fünfzehn Jahre zurückliegende Tat unzulässig sei und ihn in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletze, zumal seine Haftentlassung unmittelbar bevorstehe. Für die Allgemeinheit bestehe kein berechtigtes Informationsbedürfnis mehr über allgemeine Informationen zu seiner Person. Anderes folge auch nicht daraus, dass er sich im Jahr 2004 in Zusammenhang mit dem von ihm angestrengten Wiederaufnahmeverfahren mit zwei Schreiben an die „S. Zeitung“ gewandt habe.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000,00 EUR; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) zu unterlassen über ihn, den Kläger, in Zusammenhang mit dem Mord an W.S. unter voller Nennung des Nachnamens zu berichten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie macht geltend, dass sie den in Rede stehenden Beitrag lediglich in ihrem Online-Archiv verbreitet habe. Für den Artikel habe auch ein die Berichterstattung rechtfertigender Grund bestanden, nämlich das Wiederaufnahmeverfahren des Klägers. Zu berücksichtigen sei außerdem, dass der Kläger sich unstreitig im Jahr 2004 in Zusammenhang mit seinem Wiederaufnahmeverfahren mit zwei Schreiben an eine Zeitung gewandt habe (vgl. Urteil des LG Frankfurt a.M. vom 05.10.2006, Az: 2/3 O 358/06).

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der Sitzung vom 02.11.2007 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Dem Kläger, der unstreitig identifizierbar ist, obwohl sein Vorname nicht auch noch genannt wird, steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, denn die angegriffene Berichterstattung verletzt bei fortbestehender Wiederholungsgefahr sein allgemeines Persönlichkeitsrecht.

Die Kammer hat hierzu im Urteil vom 23.03.2007 (Az.:324 O 783/06) zu einem ähnlich gelagerten Sachverhalt ausgeführt:

„1. Die angegriffenen Artikel verletzen das Persönlichkeitsrecht des Klägers. Die Berichterstattung bei voller Namensnennung berührt den Schutzbereich seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Menschenwürde sichern jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann. Hierzu gehört auch das Recht, in diesem Bereich „für sich zu sein“, „sich selbst zu gehören“ (so schon Arndt, Bespr. v. BGH, NJW 1966, S. 2353, in NJW 1967, S. 1845 ff., 1846) und ein Eindringen oder ein Einblick durch andere auszuschließen (BVerfG, Urt. v. 5.6.1973, BVerfGE 35, S. 202 ff., 233 ff. – Lebach I, m.w.N.). Es umfasst damit das Verfügungsrecht über Darstellungen der eigenen Person (BVerfG aaO. – Lebach I.), das auch dann beeinträchtigt ist, wenn – und sei es wahrheitsgemäß – öffentlich darüber berichtet wird, dass der Betroffenen in der Vergangenheit eine Straftat begangen hat. Eine Beeinträchtigung liegt insbesondere in Darstellungen, die die Resozialisierung, mithin die Wiedereingliederung von Straftätern in die Gesellschaft nach Verbüßung der Strafe wesentlich zu erschweren drohen (vgl. BVerfG aaO. – Lebach I; BVerfG, Beschl. v. 25.11.1999, NJW 2000, S. 1859 ff., 1860 f. – Lebach II). Gerade bei einer Berichterstattung unter voller Namensnennung, wie sie die Beklagte vorgenommen hat, liegt diese Gefahr nahe.

Die Beklagte hat den Kläger durch die angegriffenen Artikel in Bezug zu der Tat gesetzt, wegen der er verurteilt worden ist; dies erfolgte zudem öffentlich. Unstreitig hat die Beklagte die in Rede stehenden Artikel, in denen er als Täter des Mordes an … namentlich genannt wird, in ihrem Online-Archiv in der Weise zum Abruf vorgehalten, dass Nutzer diese lesen konnten. Bei einer derartigen „Archivierung“ handelt es sich gerade nicht um ein lediglich internes Archiv der Beklagten, denn diese Artikel waren für jedermann über das Internet öffentlich zugänglich. Hierdurch wurde die Täterschaft des Klägers für die Öffentlichkeit ständig aktualisiert, indem die Artikel jederzeit abrufbar waren.

Für die Beklagte streitet zwar vorliegend die Freiheit der Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht ist schlechthin konstituierend für die freiheitlich-demokratische Grundordnung (BVerfG aaO.- Lebach I, m.w.N.). Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände dieses Einzelfalles hat das Interesse der Öffentlichkeit, etwas über die Person des Klägers zu erfahren, indessen hinter seinem Individualinteresse, mit seiner Tat „in Ruhe gelassen“ zu werden und so eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen (a.), im Rahme der erforderlichen Abwägung (b.) zurückzutreten.

a. Die angegriffene Berichterstattung gefährdet die Resozialisierung des Klägers, weil sie ihn mit seiner Tat erneut an das Licht der Öffentlichkeit zerrt und sich so bereits in der Haftsituation schädliche Wirkungen ergeben können, die eine spätere Wiedereingliederung erschweren. Dem steht nicht entgegen, das für die Zeit nach Ablauf der lebenslangen Freiheitsstrafe (aa.) eine Sicherungsverwahrung des Klägers angeordnet ist (bb.) und eine unklare relative zeitliche Nähe zur Haftentlassung besteht (cc.). Gemäß § 2 des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) dient der Vollzug der Freiheitsstrafe ausschließlich der Resozialisierung und dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten (§ 2 Satz 1, 2 StVollzG). Schädliche Folgen des Freiheitsentzugs ist entgegenzuwirken (§ 3 Abs. 2 StVollzG).

aa. Das allgemeine Vollzugsziel der Resozialisierung gilt auch für die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Für den … zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Kläger ergibt sich das Resozialisierungsinteresse aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 GG, denn auch der verurteilte Mörder muss nach deutschem Recht grundsätzlich die Chance haben, nach Verbüßung einer gewissen Strafzeit – in der Regel nach Verbüßung des gesetzlich angeordneten Mindestmaßes von 15 Jahren, § 57a Abs. 1 StGB – wieder in die Freiheit zu gelangen; bei diesem Grundsatz handelt es sich mithin um ein Gebot mit Verfassungsrang (BVerfG, Beschl. v. 3.6.1992, NJW 1992, S. 2947 ff., 2948 – lebenslange Freiheitsstrafe). Schon nach systematischer Betrachtung des Strafvollzugsgesetzes – und des in § 2 normierten Vollzugszieles für die Freiheitsentziehung – bezieht dieses auch die lebenslange Freiheitsstrafe mit ein. Aber auch nach Sinn und Zweck der Vorschriften wirkt sich das im Strafvollzugsgesetz gesicherte Resozialisierungsziel für diese Täter aus. Es wird so sichergestellt, dass sie bei einer späteren Entlassung noch lebenstüchtig und wieder eingliederungsfähig sind (BVerfG, aaO.- lebenslange Freiheitsstrafe). Die Vollzugsanstalten sind so auch bei den zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen verpflichtet, auf deren Resozialisierung hinzuwirken und schädliche Auswirkungen des Freiheitsentzugs und damit auch und vor allem deformierenden Persönlichkeitsveränderungen entgegenzuwirken (BVerfG aaO. – Lebenslange Freiheitsstrafe, m.w.N.). Der verurteilte Straftäter muss die Chance erhalten, sich nach Verbüßung seiner Strafe wieder in die Gemeinschaft einzuordnen (BVerfG, aaO. – Lebach I ). Folgerichtig steht auch dem zu lebenslanger Haft verurteilten Mörder ein Anspruch auf Resozialisierung zu, der stets aktuell ist, mag für den Verurteilten auch erst nach langer Strafverbüßung die Aussicht bestehen, sich auf ein Leben in Freiheit einrichten zu dürfen (BVerfG aaO. – lebenslange Freiheitsstrafe).

 

bb. Das allgemeine Vollzugsziel der Resozialisierung gilt auch für den Fall, dass gegen den Verurteilten nach § 66 StGB die anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet wird, da es sich bei der Sicherungsverwahrung nicht lediglich um einen Verwahrvollzug des gefährlichen Täters im Sinne eines „Wegsperrens für immer“ handelt. Denn auch im Rahmen der Sicherungsverwahrung ist auf eine Resozialisierung des Untergebrachten hinzuwirken (BVerfG, Urt. v. 5.2.2004, NJW 2004, S. 739 ff., 740 – Sicherungsverwahrung). Die Sicherungsverwahrung ist normativ wie tatsächlich geradezu am Resozialisierungsgedanken ausgerichtet (BVerfG aaO., S. 740 – Sicherungsverwahrung): …

cc. Auch ohne eine relative zeitliche Nähe zur Haftentlassung können die möglichen Folgen eines Berichts über die Straftat eines Verurteilten für sein Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gravierend sein, indem sie zu Stigmatisierung, sozialer Isolierung und einer darauf beruhenden grundlegenden Verunsicherung führen (dazu vgl. BVerfG aaO. – Lebach II). Mit dem Anspruch des Betroffenen, mit seiner Tat „in Ruhe gelassen“ zu werden, gewinnt es mit zeitlicher Distanz zur Straftat und zum Strafverfahren zunehmende Bedeutung, vor einer Reaktualisierung seiner Verfehlung verschont zu bleiben (vgl. jüngst BVerfG, Beschl. v. 13.6.2006, NJW 2006, S. 2835 f. m.w.N.). Die Grenze zwischen dem Zeitraum, in dem eine den Täter nennende Berichterstattung als aktuelle Berichterstattung über ein Ereignis von öffentlichem Interesse grundsätzlich zulässig ist, und dem Zeitraum, zu dem wegen Zurücktretens des berechtigten öffentlichen Interesses eine spätere Darstellung oder Erörterung unzulässig geworden ist, lässt sich nicht allgemein, jedenfalls nicht mit einer nach Monaten und Jahren für alle Fälle fest umrissenen frist fixieren( so schon BVerfG aaO.- Lebach I; nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls kann bereits nach einem Zeitraum von nur sechs Monaten nach Rechtskraft des Strafurteils die Namensnennung unzulässig geworden sein, s. etwa BGH, Urt. V. 9. 6. 1965, NJW 1965, S. 2148 ff.- Spielgefährtin I). Der maßgebende Zeitpunkt für eine die Resozialisierung gefährdende, unzulässige Berichterstattung unter Namensnennung ist aber jedenfalls erheblich früher anzusetzen, als auf das Ende der Strafverbüßung. § 2 StVollzG gebietet es, vom Beginn der Strafzeit an auf das Vollzugsziel der Resozialisierung hinzuarbeiten. Dem Gefangenen sollen Fähigkeit und Willen zu verantwortlicher Lebensführung vermittelt werden. Er soll es lernen, sich unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsbruch zu behaupten, ihre Chancen wahrzunehmen und ihre Risiken zu bestehen (BVerfG aaO. – Lebach I.). Eine Gefährdung der Resozialisierung ist durch eine Berichterstattung auch dann zu befürchten, wenn die Tat bereits lange Zeit zurückliegt. Gerade ein Mord ist derart persönlichkeitsbestimmend, dass der Mörder mit der Tat praktisch lebenslang identifiziert wird (BVerfG, aaO. – Lebach II ). Bezogen auf den Kläger bedeutet dies, dass in der besonderen Situation der Haft, die seine derzeitige Umwelt darstellt, sich bereits zum jetzigen Zeitpunkt schädliche Wirkungen für ihn ergeben können. So ist es jedenfalls nicht a priori auszuschließen, dass sich der Kläger durch eine mediale Reaktualisierung aus Furcht vor Missachtung und Ablehnung isolieren wird. In einer Situation, die ohnehin von Isolation geprägt ist, kann ein innerer und äußerer Rückzug des Betroffenen - z.B. durch Einrichtung von Einzelfreistunden, Aufgabe einer Teilnahme an Gruppenveranstaltungen – dazu führen, dass die Resozialisierung scheitert. Das aber widerspräche den oben dargelegten Vollzugszielen, wonach auch ein Straftäter wie der Kläger ein Recht darauf haben soll, schon während seiner Haftzeit die Erfahrung machen zu können, dass ihn seine Umwelt vorurteilslos wieder aufnimmt.

b. Es besteht auch kein vorrangiges, die Interessen des Klägers überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an einer Aufrechterhaltung einer Berichterstattung über die nunmehr mehr als zehn Jahre zurückliegende Straftat bzw. die nahezu zehn Jahre zurückliegende Verurteilung unter Nennung des Namens des Klägers.

aa. Die Bereithaltung der streitgegenständlichen Artikel durch die Beklagte auf ihren Internetseiten begründet – wie ausgeführt – DIE Gefahr der ständigen Reaktualisierung der Persönlichkeitsverletzung des Klägers, die sich durch jeden Abruf der Berichterstattung erneut realisiert. Die Unzulässigkeit einer solchen Berichterstattung beschränkt die Beklagte in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG nur geringfügig. Denn die Tat selbst wird dadurch nicht dem Bereich der Gegenstände, über die öffentlich berichtet werden darf, entzogen. Eingeschränkt wird das Recht, über die spektakuläre Tat des Klägers zu berichten nur dadurch, dass er den Lesern nicht durch Nennung seines Namens ohne weiteres erkennbar gemacht werden darf. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit dadurch die Berichterstattungsfreiheit mehr als nur geringfügig begrenzt würde. Auf der anderen Seite ist nicht ersichtlich, weshalb es für den Kläger weniger gravierend sein soll, wenn dem Leser einer Veröffentlichung deutlich wird, dass diese bereits vor vielen Jahren erstmals veröffentlicht worden war; die stigmatisierende Wirkung, die mit einer Verknüpfung seines Namens mit seinen schrecklichen Taten einhergeht, wird durch alte Artikel genauso perpetuiert wie durch solche, die aktuell veröffentlicht wurden. Auch ist der Aufmerksamkeitswert für die Öffentlichkeit zwar zweifellos höher, wenn eine derartige Berichterstattung im aktuellen Teil einer Online-Veröffentlichung erfolgt, denn nur dieser Bereich wird vom Leser ähnlich einer Zeitung „durchgelesen“, während der Zugriff auf alte Veröffentlichungen regelmäßig ein gezieltes Tätigwerden des Lesers – in der Regel durch Eingabe von Suchbegriffen – erfordert. Damit sind derartige Artikel aber nicht gänzlich aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden, denn durch die heute weit verbreitete Verwendung von Suchmaschinen sind Artikel, die seit Jahren im Internet stehen, in genau der gleichen Weise erreichbar, wie der Artikel vom Vortage, der soeben erst in den „Archivbereich“ verschoben wurde. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass jeder Internetnutzer, der den Namen des Mordopfers …in eine Suchmaschine eingibt, in Bruchteilen von Sekunden Artikel wie die streitgegenständlichen auffinden kann, die den Namen des Klägers mit dieser Tat verknüpfen. Mit anderen Worten: Zwar ist zutreffend, dass „archivierte“ Artikel in der Regel nicht „zufällig“ gelesen werden, die durch den Einsatz hocheffizienter Suchmaschinen ermöglichte einfache und blitzschnelle Auffindbarkeit befördert aber alle älteren Artikel gleichberechtigt auf eine Ebene der Wahrnehmbarkeit und Reichweite, die nur knapp unterhalb der einer Veröffentlichung im „aktuellen“ Teil einer Internetplattform liegt. Demnach stellt es für den Kläger keine Erleichterung dar, dass ihn betreffende Artikel „nur“ über Suchmaschinen auffindbar sind, sondern die Möglichkeit einer derartigen Auffindbarkeit begründet gerade ein gegenüber anderen Formen der Publikation erheblich intensiviertes und ganz eigenes Maß an perpetuierter Beeinträchtigung.

bb. Auch der von der Beklagten angeführte Grundgedanke eines „Archivprivilegs“ vermag zu keiner abweichenden Beurteilung zu führen, jedenfalls soweit es um so genannte „Online-Archive“ der vorliegend streitgegenständlichen Art geht.

(a) Es erscheint schon zweifelhaft, ob es sich bei dem Bereich des Internetauftritts der Beklagten, an dem sich die beanstandete Veröffentlichung befand, um ein „Archiv“ handelt. Denn für den Internetnutzer handelt es sich bei diesem Bereich letztlich um nichts anderes als einen der Bereiche, unter denen Meldungen aufzufinden sind; der Unterschied zu den Meldungen anderer Bereiche ist lediglich der, das es sich unter den hier vorgehaltenen Meldungen um solche älteren Datums handelt. Weshalb aber das schlichte Alter einer Meldung als solches ein taugliches Kriterium sein soll, um das Verbreiten der einen Meldung gegenüber einer anderen zu privilegieren, ist nicht einzusehen. Aber auch aus grundsätzlichen Erwägungen heraus, erscheint der Archivgedanke nicht als tragfähig:

(b) Auf ein Archivprivileg, das analog dem des § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG gestaltet wäre, kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen. Insoweit kann es für die Abwägung der Interessen zwischen der von der Berichterstattung betroffenen Person und dem Verbreiter der Berichterstattung nicht darauf ankommen, ob letzterer der Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts im Sinne des Urhebergesetzes an den betreffenden Artikeln ist. Gegen eine analoge Anwendung der urheberrechtlichen Archivregelung spricht zudem, dass für eine solche Privilegierung hier bereits deshalb kein Raum besteht, weil ein Zugriff auf das Archiv der Beklagten jedermann möglich ist. Die Regelung in § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG, die den „Archivar“ von Ansprüchen des Urhebers freistellt, wenn zur Aufnahme in sein Archiv fremde Werkstücke vervielfältigt werden, findet nicht für jedes Archiv Anwendung. Nach § 53 Abs. 5 UrhG ist das Archivprivileg insbesondere auf solche Datenbanken beschränkt, die nicht mit elektronischen Mitteln zugänglich sind. Diese Ausnahmevorschrift kommt bereits dann nicht zum Tragen, wenn das Archiv auch nur von einer Mehrzahl von Unternehmensangehörigen genutzt werden kann (BGH, Urt. v. 10.12.1998, GRUR 1999, S. 325 ff., 327 m.w.N.). Erst recht findet sie keine Anwendung, wenn außenstehenden Dritten Zugriff auf das Archiv gewährt wird (BGH, Urt. v. 16.1.1997, GRUR 1997, S. 459 ff., 463 – CB-Infodatenbank I). Das hat seinen Grund darin, dass eine Multiplikatorfunktion mit der bezweckten Beschränkung auf bloße Bestandssicherung nicht zu vereinbaren ist, weshalb auch eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG nicht anhängig ist (vgl. BGH, Urt. v. 10.12.1998, GRUR 1999, S. 325 ff., 327 m.w.N. – elektronische Pressearchive).

Diese für das Urheberrecht entwickelten Grundsätze sind es, die gerade dafür sprechen, dass es ein „Archivprivileg“ für in das Internet eingestellte ehemals aktuelle Meldungen nicht geben kann, sondern dass jedenfalls ein Medienunternehmen, das sein Archiv gerade durch Gewährung des Zugangs über das Internet auch für dritte Nutzer zugänglich macht, dafür Sorge zu tragen hat, dass Beiträge, deren Verbreitung nicht oder nicht mehr zulässig ist, gelöscht oder so archiviert werden, dass ihre weitere Verbreitung ausgeschlossen ist. Denn der technische Fortschritt, der die Speicherung und Zugänglichmachung von Daten in immer weiterem Umfang zulässt, darf nicht dazu führen, dass Persönlichkeitsverletzungen eher hinzunehmen sind (BGH Urt. v. 16.9.1966, NJW 1966, S. 2353 ff., 2354; BVerfG, Beschl. v. 9.10.2002, NJW 2002 S. 3619 ff., 3621; s. auch BVerfG, Urt. v. 15.12.1983, BVerfGE 65, S. 1 ff. = NJW 1984, S. 419 ff., 421 f. – Volkszählung).

(c) Im Übrigen wird auch aus den gesetzlichen Regelungen über die Verwaltung von Archivgut deutlich, dass nach gesetzgeberischer Wertung zeitliche Schutzfristen für archivierte Beiträge zu beachten sind, die den Schutz der Persönlichkeitsrechte der von dem Archivgut betroffenen Personen dienen, und dass solche Schutzvorschriften geradezu zum Wesen des Archivrechts gehören. So darf etwa nach § 5 Abs. 2 BArchG Archivgut, das sich auf natürliche Personen bezieht, erst 30 Jahre nach dem Tode der betroffenen Person durch Dritte benutzt werden; ist das Todesjahr nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand festzustellen, endet die Schutzfrist erst 110 Jahre nach der Geburt des Betroffenen. Entsprechende Regelungen enthalten auch die Archivgesetze der Länder (s. z.B. § 5 des Hamburgischen Archivgesetzes v. 21.1.1991). Mit derartigen Schutzfristen wird ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen der von den Inhalten des zu archivierenden Schrift- oder Bildguts betroffenen Personen und der Notwendigkeit, kulturell bedeutsames Mediengut dauerhaft zu erhalten und der Öffentlichkeit zur Nutzung zur Verfügung zu stellen, geschaffen. Schon zuvor darf Archivgut genutzt werden, ggf. sind aber die von ihm betroffenen Personen unkenntlich zu machen (s. z.B. auch § 12 Abs. 4 und 5 Stasi-Unterlagen-Gesetz, § 30 BDSG). Auch dies zeigt, dass der Gesetzgeber es als durchaus zumutbar ansieht, wenn ggf. eine nur unter Anonymisierung (§ 3 Abs. 6 BDSG) der betreffenden Person erfolgende Verbreitung von Informationen zugelassen wird.

Einen allgemeinen Rechtsgedanken, wonach die Verbreitung archivierter Materialien gegenüber der von aktuellen Meldungen in weiterem Umfange generell zulässig wäre, solange die von den Inhalten des Materials betroffenen Personen noch am Leben sind, gibt es damit nicht.

c. Damit schuldet die Beklagte als Störerin Unterlassung. Das Eingreifen von Rechtfertigungsgründen – etwa wegen eines überwiegenden Interesses der Öffentlichkeit an der Führung gerade des streitgegenständlichen Archivs – ist weder dargelegt noch ersichtlich. Wie ausgeführt, erfüllt die hier praktizierte schlichte öffentliche Bereithaltung älterer Veröffentlichungen bereits nicht die spezifischen Funktionen eines Archivs, das an dem grundsätzlich berechtigten Interesse ausgerichtet ist, publizistische Erzeugnisse „dem wissenschaftlich und kulturell Interessierten möglichst geschlossen zugänglich zu machen und künftige Generationen einen umfassenden Eindruck vom geistigen Schaffen früherer Epochen zu vermitteln“ (BVerfG, B. v. 14.7.1981, NJW 1982, S. 633 ff., 634 – zu Pflichtexemplaren).“

Diese Erwägungen gelten hier im noch stärkeren Maße, weil der Kläger nicht im Anschluss an die lebenslange Freiheitsstrafe, von der er bereits über 14 Jahre verbüßt hat, noch Sicherungsverwahrung zu vergegenwärtigen hat.

Es wird außerdem ergänzend auf das Urteil des Hans. OLG Hamburg vom 09.10.2007 (Az.: 7 U 53/07) verwiesen, in welcher das OLG ausführt, es obliege dem Betreiber eines online gestellten Pressearchivs als Verbreiter, zuvor die Zulässigkeit des Dritten zur Verfügung gestellten archivierten Materials zu prüfen.

Die Beklagte dringt auch nicht mit ihrem Einwand durch, der Kläger müsse die umstrittene Nennung seines Namens hinnehmen, da er sich selbst noch im Jahre 2004 unstreitig mit zwei Schreiben in Zusammenhang mit seinem Wiederaufnahmeverfahren an eine Zeitung – nach Angaben des Klägers die „S. Zeitung“ - gewandt habe. Denn gegenüber dem Jahr 2004 haben das Resozialisierungsinteresse und der Anonymitätsschutz angesichts seiner kurz bevorstehenden möglichen Haftentlassung erheblich an Gewicht gewonnen (vgl. Beschluss des Hans. OLG Hamburg vom 28.02.2007, Az.. 7 W 13/07).

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 3, 92 Abs. 1 und 2 Nr. 1, 709 ZPO.

 Buske                                                   Käfer                                                   Dr. Link

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Dieses Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 10.05.08
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