Buskeismus


Home    Sitemap

Gregor Gysi vs. Bärbel Bohley
Ordnungsmittelbeschluss

Leitsatz (Rolf Schälike):

Sich den IM-Vorwurf gefallen lassen zu müssen, entspricht nicht dem Verbotstenor "Stasi-Spitzel" gewesen zu sein.

Kommentar Rolf Schälike (02.03.06):
Angesichts der Stolpe-Entscheidung des Bundesverfassungsgericht vom 25. Oktober 2005 dürfte die Argumentationsweise der drei Richter heute leider nicht mehr greifen. Logische Überlegungen und Hinweise auf Widersprüchlichkeit braucht der Betroffene nicht mehr hinzunehmen. Es reicht sein Empfingen und die geringste Möglichkeit einer anderen Deutung. Nach einem Äußerungsverbot darf der Antraggegner sich zu dem Fall nicht mehr äußern.

Interessant, wie die Gerichte in  Zukunft mit der Meinungsfreiheit umgehen und in solchen Fällen entscheiden werden.

_________________________________________

HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT

Beschluß

3 W 187/94
324 O 768/93

In dem Rechtsstreit

Dr. Gregor G y s i .
MdDB,
Berlin

Gläubiger, Beschwerdegegner,

Prozeßbevollmächtigte:
Rechtanwälte Dr. Senfft pp.
Schlüterstr. 6, 20146 Hamburg. - GK 262

gegen

1) Bärbel Bohley
Berlin,

 2)....

Schuldnerin, Beschwerdeführerin,

Prozeßbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Quack pp.
Deichstr. 11, 20459 Hamburg,

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 3. Zivilsenat, am 2. Januar 1995 durch die Richter Kupfer, von Franqué, Prof. Dr, Bork beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin wird der Beschluß des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 24, vom 14. November 1994 abgeändert.

Der Ordnungsmittelantrag des Gläubigers wird zurückgewiesen.

Der Gläubiger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Beschwerdewert beträgt 3.000,-- DM

Gründe :

Die sofortige Beschwerde hat Erfolg. Der auf § 890 ZPO gestützte Ordnungsmittelantrag des Gläubigers ist nicht begründet, weil die Schuldnerin mit der streitigen Äußerung nicht gegen den Titel verstoßen hat.

Durch einstweilige Verfügung des Landgerichts ist der Schuldnerin u.a. verboten worden zu behaupten, der Gläubiger "sei ein Stasi-Spitzel gewesen".

Gegenstand des Ordnungsmittelverfahrens ist eine Äußerung der Schuldnerin in einem der Zeitschrift FOCUS gegebenen Interview (Anlage B III 1). Die Passage in dem Interview lautet:

Gysi behauptet aber auch, zu DDR-Zeiten ein unabhängiger Anwalt gewesen zu sein.

Bohley: Wenn er das war, muß er sich erst recht den IM-Vorwurf gefallen lassen. Wen sonst als einen eigenen Mann hätte denn die Stasi unabhängig und frei agieren lassen? Je länger diese Auseinandersetzung läuft, desto deutlicher wird doch, daß Gysi der verlängerte Arm des alten DDR-Rechtssystems ist und die DDR heute nachträglich zum Rechtsstaat hochstilisiert.

Das Landgericht hat gegen die Schuldnerin ein Ordnungsmittel von 3.000,- DM verhängt. Es sieht einen Verstoß darin, daß die Schuldnerin mit dieser Äußerung das gerichtliche Verbot im Kern verletzt habe, weil die verbotene Behauptung - wenn auch in anderer sprachlicher Einkleidung - erneut aufgestellt worden sei.

Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

1. Im rechtlichen Ausgangspunkt ist dem Landgericht beizutreten. Unterlassungsgebote können auch durch nicht identische, aber im Kern übereinstimmende Handlungen verletzt werden. Das entspricht allgemeiner Meinung, da anderenfalls Unterlassungstitel zu leicht umgangen werden könnten. Allerdings ist die so genannte Kerntheorie vor dem Hintergrund des Verfassungsrechtes zu sehen. Es verbietet eine zu weite
Auslegung eines Vollstreckungstitels (vgl. zur Rechtslage eingehend und mit weiteren Nachweisen Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 4. Aufl., Rdz. 1 2.138; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 6. Aufl., Kap. 57 Rdnrn. 12 f, insbesondere 15; Melullis, Handbuch des Wettbewerbsprozesses, 1991, Rdnr. 475). Daß die dort angestellten Überlegungen angesichts der Möglichkeiten differenzierter sprachlicher Ausdrucksformen im Äußerungsrecht besondere Beachtung fordern, liegt auf der Hand.

2. Der hier in Rede stehende Vollstreckungstitel ist schon deshalb nicht weit auszulegen, weil er - wie insbesondere die Begründung des Urteils des Senats im Berufungsverfahren (dort Seite 14) verdeutlicht - zum Schütze der Meinungsäußerungsfreiheit nur einen engen Verbotsbereich haben konnte und sollte.

Als Verbotskern ist die Tatsachenbehauptung bezogen auf den Gläubiger zu sehen, dieser habe sich tatsächlich als Stasispitzel betätigt, also Spitzeldienste geleistet.

3. Die streitige Äußerung würde diesem Verbot nur dann unterfallen, wenn sie diese konkrete Beschuldigung gegen den Gläubiger erheben würde.

Daran fehlt es hier bei zutreffender Würdigung des Aussagegehalts des Interviews. Die sprachliche Einkleidung und die Zielrichtung der Äußerungen der Schuldnerin liegen so weit außerhalb des Verbotskerns, daß sie von diesem nicht mehr erfaßt werden können.

Allerdings hebt das Landgericht zutreffend hervor, daß ein IM ein informeller Mitarbeiter der Stasi war, der in aller Regel Informationen zu beschaffen, also Spitzeldienste zu leisten hatte. Es ist sprachlich auch zutreffend, daß sich einen Vorwurf nur der gefallen lassen muß, der das vorgeworfene Verhalten gezeigt hat.

Bei der Zuordnung der streitigen Äußerung zu dem Verbotsbereich des Vollstreckungstitels kann dies jedoch nicht allein entscheidend sein. Die Schuldnerin ist von dem Interviewer mit der Behauptung Konfrontiert worden, der Gläubiger behaupte, in DDR-Zeiten ein unabhängiger Anwalt gewesen zu sein. Allein hierauf bezieht sich die streitige Äußerung. Die Aussage der Schuldnerin geht dahin, daß der Gläubiger sich mit dieser Beschreibung seiner Berufstätigkeit in DDR-Zeiten gewissermaßen paradox verhalte. Nach dem Rechtssystem der DDR habe er kein unabhängiger Rechtsanwalt sein oder auch nur so auftreten können. Beides sei nur "einem eigenen Mann" der Stasi möglich gewesen. Der Gläubiger wolle "die DDR heute nachträglich zum Rechtsstaat hoch­stilisieren".

Dieser Sinnzusammenhang ergibt, daß die Schuldnerin nicht behauptet, der Gläubiger habe sich als ein Stasi-Spitzel oder in vergleichbarer Weise betätigt. Sie widerlegt nur seine Behauptung, er sei in DDR-Zeiten unabhängiger Rechtsanwalt gewesen mit der These, daß man dies nicht ohne Stasihilfe hätte sein können, die der Gläubiger jedoch gerade für sich in Abrede nehme, wie sie zu Beginn des Interviews auch ausgeführt hat. Die streitige Passage benutzt den IM-Vorwurf bei Lichte besehen als eine hypothetische Unterstellung, als Kunstgriff der Argumentation.

Ein solcher Sachverhalt liegt nicht mehr im Kern des Titels. Es handelt sich vielmehr um eine so weit abweichende Äußerungsform, daß von ihr nicht mehr gesagt werden kann, sie sei "ihrerseits schon (implizit) Gegenstand der Prüfung im Erkenntnisverfahren" gewesen (vgl. zu dieser Voraussetzung insbesondere Teplitzky a.a.O. Kap. 57 Rdnr. 13). Ob sie gleichwohl rechtsverletzend sein könnte, ist im Vollstreckungsverfahren ohne Belang und damit nicht zu untersuchen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Kupfer                                           v. Franqué                                             Bork

Bitte senden Sie Ihre Kommentare an Rolf Schäike
Dieses Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 02.03.06
Impressum